Schon wieder eine französische Komödie. „Nur eine Stunde Ruhe!“ ist so grantig wie der Filmtitel. Es darf wieder über Rassismus gekichert werden, ist ja alles so charmant bei den Franzosen. Sieht so die neue Normalität aus, wenn jeder Vierte Front National wählt?
Früher verteidigte Christian Clavier als Comic-Held Asterix Gallien vor den Römern. Heute verkörpert er eine neue Art Verteidiger der Grande Nation gegen ausländische Horden: Als Patriarch mit Integrationsneurose begeisterte der 62-Jährige in „Monsieur Claude und seine Töchter“ in Frankreich und Deutschland insgesamt über 15 Millionen Zuschauer. „Nur eine Stunde Ruhe!“ legt nun noch eine Schippe drauf: Der Rassismus ist unverhohlener, der Antiheld verachtet neben Ausländern auch Frauen im Allgemeinen und schlappschwänzige Männer im Besonderen. Dem Publikum gefällt es, wie rund eine Million Zuschauer in Frankreich zeigen. Wen sollte das wundern: Auch Front-National-Wähler gehen schließlich ins Kino.
Das französische Kino nimmt seit jeher einen besonderen Stellenwert in Deutschland ein. Vor der Kulisse dieses Sehnsuchtslands zwischen Sartre und Savoir-vivre wirken Nichtigkeiten irgendwie weniger banal, Schrecken minder realistisch. Durch die rosarote Brille der französischen Kinodimension werden Franzosen leicht zu den besseren Deutschen. Da rutschen manche Schenkelklopfer als charmant durch, die in vergleichbaren heimischen Produktionen weit weniger Nachsicht erwarten dürften. Geriete ein feister deutscher Mittsechziger angesichts einer blutjungen Asylantin ins Sabbern, wäre das selbst für einen Antihelden zu viel des Guten.
Altherrenwitz trifft Stammtischniveau
In Frankreich aber – pas de problème: Zahnarzt Michel Leproux (Clavier) will nur endlich und in Ruhe eine Schallplatte hören, wird jedoch ständig von seiner wehleidigen Ehefrau (Carole Bouquet), der hysterischen Geliebten, dem unfähigen Klempner aus Portugal, dem frechen Nachbarn aus Polen und seinem Loser-Sohn genervt. Letzterer hat im Dachgeschoss des noblen Pariser Appartementhauses eine philippinische Großfamilie untergebracht. „Wie in der Dritten Welt“, schnauft der sonnenbankgebräunte Choleriker bei der Besichtigung – nur um sogleich in schmierigster Sextouristen-Manier die bildhübsche Teenagerin zu begaffen. „Die Antiglobalisierung hat auch was Gutes, oder? … Da mache ich auch gern mit“, zischt er verschwörerisch und mit neu gewonnenem Respekt seinem Sohn zu.
Schon klar: Der Zahnarzt ist nicht als strahlendes Vorbild gedacht. Der Zuschauer soll sich aber in ihm wiederfinden können, mit ihm und über ihn lachen. Mit einem unverschämt schwülstigen Ende ist dann wieder alles in Butter. Clavier beschreibt den Erfolg seiner Filme stolz damit, dass diese dem „gleichzeitigen Wunsch nach Wirklichkeitsnähe und nach Leichtigkeit“ des Publikums entsprächen. Wenn aber die Realität darin besteht, dass jeder vierte Wähler dem Front National seine Stimme gibt, wird Leichtigkeit rasch zur gefährlichen Verharmlosung.
Kino auf Zuschauerfang
Unter dem Deckmantel der Komödie bricht sich hier womöglich ein populistisches Kino Bahn, das am rechten Zuschauerrand des betuchten Best-Ager-Bürgertums fischt. Der riesige Erfolg von „Monsieur Claude und seine Töchter“ – in dem die Migranten-Schwiegersöhne wenigstens selbst noch ordentlich austeilen durften – mag einigen Filmemachern als Erfolgsformel gegen die jüngste Krise des französischen Kinomarkts erschienen sein. Nach dem Ausnahmejahr 2012 mit „Ziemlich beste Freunde“, „96 Hours – Taken 2“ und „The Artist“ waren die Zuschauerzahlen 2013 in Frankreich um mehr als 20 Prozent eingebrochen. Die Misere spiegelte sich auch auf dem deutschen Markt wider. Die Einspielergebnisse französischer Produktionen stürzten von 105 Millionen Euro im Jahr 2012 auf 28 Millionen im Folgejahr ab. Das war laut der Statistik des Exportbüros UniFrance zudem das drittschlechteste Ergebnis der vergangenen zehn Jahre.
Die Zahlen für 2014 wurden zwar noch nicht veröffentlicht, dürften aber auch dank „Monsieur Claude“ einen deutlichen Aufwärtstrend verzeichnen. So oder so haben Filme aus Frankreich einen immer sichereren Platz in deutschen Kinos. 2011 liefen noch 57 französische Produktionen in Deutschland an. In den ersten vier Monaten dieses Jahres waren bereits 29 Filmstarts angesetzt. „Monsieur Claude“ hat auch beim deutschen Publikum einen Nerv getroffen und wurde zum erfolgreichsten Arthouse-Film 2014 gekürt. Allerdings kam angesichts dieses Erfolgs die Frage auf, ob jeder Film automatisch mit dem Siegel „Arthouse“ versehen werden sollte, bloß weil er aus Frankreich stammt. Aus Respekt vor dem französischen Film muss dies mittlerweile entschieden verneint werden.
„Nur eine Stunde Ruhe!“ kommt am 16. April 2015 in die deutschen Kinos.
Quelle: n-tv.de
(Bilder: DCM)
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