
In Hollywood tun sich tiefe Gräben auf. Selten haben Oscar-Nominierungen derartigen Aufruhr auf höchsten Ebenen ausgelöst. Kaum waren die Kandidaten für die Verleihung des bedeutendsten Filmpreises am 28. Februar verkündet, da machte in sozialen Netzwerken erneut das 2015 aufgekommene Hashtag «OscarsSoWhite» die Runde. Das zweite Jahr in Folge befand sich unter den zwanzig Nominierten in den Schauspieler-Kategorien kein einziger mit dunkler Hautfarbe. Afroamerikanische Filmschaffende wie der Regisseur Spike Lee, der bereits im November einen Ehren-Oscar für sein Lebenswerk entgegengenommen hat, haben den Boykott der Verleihung angekündigt. Die von weissen Männern fortgeschrittenen Alters dominierte Oscar-Wählerschaft wird mit Rassismusvorwürfen überhäuft. Allerdings ist die Problemlage in Wahrheit weitaus vielschichtiger.
Betrogen um die Nominierung?
2015 entzündete sich die Debatte ausgerechnet an dem Bürgerrechtsdrama «Selma». Dieses war zwar als bester Film nominiert. Hauptdarsteller David Oyelowo und Regisseurin Ava DuVernay, beide schwarz, gingen jedoch leer aus. Dieses Jahr wird eine ganze Reihe dunkelhäutiger Schauspieler angeführt, die vermeintlich um eine Nominierung betrogen worden sind – allen voran Idris Elba («Beasts of No Nation») und Will Smith («Concussion»). Sie standen kürzlich bei den Golden Globes zur Wahl. Allerdings verfügen die Globes über zwei Schauspieler-Kategorien mehr als die Oscars (NZZ 31. 12. 15).
Neben Spike Lee kündigten unter anderen Will Smith und Regisseur Michael Moore an, der Gala aus Protest fernzubleiben. Der schwarze Komiker Chris Rock wurde aufgefordert, als Gastgeber zurückzutreten. Der zweifache Oscar-Preisträger George Clooney attestierte Hollywood in Sachen Diskriminierung Rückschrittlichkeit. Vor zehn Jahren seien noch sehr viel mehr Afroamerikaner nominiert worden, etwa Don Cheadle und Morgan Freeman. «Wir bewegen uns in die falsche Richtung», kritisierte Clooney.
Die Academy of Motion Picture Arts and Sciences gibt nun unter Druck nach und versucht bemerkenswert schnell eine Kurskorrektur. Nur acht Tage nach Bekanntgabe der Nominierungen kündigte die Organisation am vergangenen Freitag «historische» Veränderungen an. Bis 2020 soll die Zahl der Frauen und «vielfältigen» Mitglieder verdoppelt werden. «Die Academy weist den Weg und wartet nicht darauf, dass die Branche aufschliesst», sagte deren afroamerikanische Präsidentin Cheryl Boone Isaacs. Sie versprach, dass diese Veränderungen einen sofortigen Einfluss auf die Abstimmungsergebnisse haben werden.
Einige Oscar-Wähler haben sich jedoch öffentlich gegen den Vorwurf des Rassismus verwahrt. Schauspielerin Penelope Ann Miller («Carlito’s Way») bezeichnete die Anschuldigungen im «Hollywood Reporter» als «extrem beleidigend». Elba sei grossartig gewesen, aber womöglich hätten einfach nicht genug Zuschauer «Beasts of No Nation» gesehen. Das Drama um afrikanische Kindersoldaten lief nämlich nur in wenigen Kinos und wurde zeitgleich auf dem Online-Streaming-Dienst Netflix gezeigt. Laut dem amerikanischen Filmkritiker Scott Feinberg hat der Verleih des Boxerdramas «Creed» erst spät das Oscar-Potenzial des Films erkannt und dementsprechend spät mit der Kampagne begonnen. So wurde letztlich nur Sylvester Stallone für seine Paraderolle Rocky Balboa als Nebendarsteller nominiert. Der 78-jährige Drehbuchautor Jeremy Larner verteidigte die Nichtberücksichtigung der Darsteller und des Regisseurs von «Straight Outta Compton». Der Film sei dafür einfach nicht gut genug gewesen.
Aber ist Qualität das einzige und wahre Auswahlkriterium? Daran kann man angesichts der Zusammensetzung der Academy zweifeln. Tatsächlich erinnerte sie mit ihren rund 7000 Mitgliedern bis vor kurzem fatal an einen segregierten Country-Club. Laut einer 2012 veröffentlichten Studie der «Los Angeles Times» waren fast 94 Prozent der Oscar-Wähler weiss, 86 Prozent älter als 49 Jahre (Durchschnittsalter: 62 Jahre) und 77 Prozent Männer. Während Afroamerikaner rund 13 Prozent der US-Bevölkerung ausmachen, stellten sie zum Zeitpunkt der Untersuchung nur etwa 2 Prozent der Academy-Mitglieder.
Reform der Academy
Nun ist es vielleicht einfach nur menschlich, wenn sich ein weisser Rentner mehr für einen alternden Ex-Boxer als für den Aufstieg von Ice Cube und Dr. Dre begeistern kann. Im Zuge der Reform der Academy soll jedoch auch der Altersdurchschnitt der Wähler gesenkt werden, indem nicht mehr berufstätige Mitglieder (mit Ausnahme von Oscar-Gewinnern und -Nominierten) ihr bisher lebenslanges Stimmrecht einbüssen können. Aber die Wähler mögen noch so diversifiziert und jung sein: Solange weibliche, afroamerikanische, hispanische und asiatische Filmschaffende in der Branche weiterhin derart unterrepräsentiert sind, bleibt für die Oscar-Wähler in der Academy der Blick auf würdige Leistungen verstellt. Michael Caine sagte dazu: «Man kann nicht für einen Schauspieler stimmen, nur weil er schwarz ist.» Boone Isaacs geht mit ihm einig – und einen Schritt weiter. Die eingeleitete Diversifikation hinsichtlich Geschlecht, Rasse, Ethnie und sexueller Orientierung müsse schnell voranschreiten.
Vielleicht könnte ja «Star Wars» erneut eine Kehrtwende herbeiführen. Der erste Film der Saga von 1977 wird gern für den Aufstieg des Popcorn-Kinos und den Niedergang des Autorenfilms verantwortlich gemacht. Der globale Mega-Blockbuster «Episode VII – The Force Awakens» rückt nun ein ungewohntes Heldenduo ins Zentrum: eine Frau und einen dunkelhäutigen Mann. Ob das Hollywoods neues Erfolgsrezept ist, wird sich freilich weisen müssen.
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