Der 29. Februar zeigt, wie grob unsere Einteilung der Zeit ist. Im Zusammenspiel von Erde und All erweist sich die Zeit als ureigen relative Dimension, die gestaucht oder gestreckt werden kann. Selbst die innere Uhr könnte ganz anders ticken als gedacht.
In einer Welt aus Unwägbarkeiten und Grautönen scheint die Zeit eine beruhigend feste Größe zu sein. Spätestens seit der perfekten Synchronisation auf Funkuhren und Smartphones ist es keine Frage der Auslegung mehr, ob sich jemand verspätet hat und keiner kann einem einen Dienstag für einen Mittwoch vormachen. Dann aber kommt alle vier Jahre der 29. Februar und demonstriert, wie imperfekt die menschliche Einteilung der Zeit in Wahrheit ist. Das ist erst der Beginn: Die Erderwärmung verlängert unsere Tage und nicht nur in den Tiefen des Weltalls ist Zeit eine relative Größe, die untrennbar mit dem Raum verbunden ist. Selbst in unserem Gehirn tickt womöglich eine wundersame Uhr.
Was hat Zeit mit Religion zu tun? Jede Menge, jedenfalls, wenn wir von Zeiteinteilung in Monaten und Jahren sprechen. Religionen mit christlichen Wurzeln folgen dem gregorianischen Kalender, der sich nach dem Lauf der Erde um die Sonne richtet. Da unser Planet für eine volle Umrundung 365 Tage plus sechs Stunden braucht, ist alle vier Jahre ein zusätzlicher Tag nötig. Andernfalls würden wir irgendwann Heiligabend im März feiern.
Wie wäre es mit einem Schaltmonat?
Beim islamischen Mondkalender wird diese Wanderung von Daten in Kauf genommen. Die Monate sind nur 29 oder 30 Tage lang, wodurch das Mondjahr elf Tage kürzer ist als das Sonnenjahr. Das ist der Grund, warum der Fastenmonat Ramadan in unterschiedlichen Jahreszeiten liegen kann. Beim jüdischen Kalender werden Sonne und Mond berücksichtigt. Hier gibt es siebenmal in 19 Jahren einen kompletten Schaltmonat. Dagegen ist die Umstellung von Winter- zur Sommerzeit (am Ostersonntag ist es wieder soweit) doch ein echtes Kinderspiel.
Bei dieser Zeiteinteilung sind nicht nur unsere Gestirne entscheidend. Auch die Erde selbst definiert mit ihrer Rotation um die eigene Achse die Länge eines Tags. Allerdings verändert sich die Drehgeschwindigkeit unseres Planeten und das nicht zuletzt aufgrund menschlichen Zutuns. Durch das Schmelzen der Gletscher an den Polen steigt der Meeresspiegel. Die Erde wird dadurch runder und am Äquator breiter. Diese zusätzliche Masse vergrößert das Trägheitsmoment und verlangsamt die Drehgeschwindigkeit. Die Folge: Der Tag wird etwas länger, wie jüngst Berechnungen des Harvard-Professors Jerry Mitrovica bestätigt haben – wenn auch aktuell erst noch im Millisekunden-Bereich.
Ein Zwilling wird jünger
Aber bereits im äußeren Bereich der Erdatmosphäre ticken die Uhren anders. Am Dienstag (1. März) soll Nasa-Astronaut Scott Kelly auf die Erde zurückkehren. Er und sein russischer Kollege Mikhail Kornienko haben dann 340 Tage auf der Internationalen Raumstation (ISS) verbracht, rund 400 Kilometer über der Erdoberfläche in Mikrogravitation bei rund 27.600 Stundenkilometern. Kelly wird bei seiner Rückkehr noch etwas jünger sein als sein identischer Zwillingsbruder Mark, ein Nasa-Astronaut im Ruhestand.
Kelly war auf der ISS zwei gegensätzlichen Kräften ausgesetzt. Die hohe Geschwindigkeit lässt die Zeit auf der Umlaufbahn langsamer verstreichen als auf der Erde. In theoretischen Szenarien wären bei langen Flügen bei Lichtgeschwindigkeit quasi Zeitreisen in die Zukunft möglich, wenn der Astronaut zum Ausgangspunkt zurückkehrt. Dieser Effekt wird gedämpft durch die geringere Schwerkraft auf der ISS. Denn je stärker die Gravitation, desto langsamer verrinnt die Zeit. Im Film „Interstellar“ erlaubte dies eine dramatische Konstellation: Jede Stunde, die die Astronauten an einem extrem massereichen Schwarzen Loch verbrachten, entsprach auf der Erde sieben Jahren.
Die vierte Dimension des Raums
Die Erklärung für dieses Phänomen liegt in der Verknüpfung von Raum und Zeit zum vierdimensionalen Gewebe der Raumzeit. Sie verläuft nicht durchgehend linear, sondern wird etwa durch die Masse eines Himmelskörpers gekrümmt, ähnlich wie ein Trampolin durch einen Turner. Auswirkungen energiereicher Ereignisse auf die Raumzeit verschwinden nicht einfach, sondern sind noch Jahrmilliarden später messbar. Der erste direkte Nachweis dieser von Einstein vorhergesagten Gravitationswellen wurde kürzlich als wissenschaftliche Sensation gefeiert.
Womöglich gilt dieses Wirkprinzip von Zeit und Raum nicht nur im Universum, sondern auch im menschlichen Gehirn. Es vermag extrem akkurat Zeitabstände zu messen – man denke nur an das Rhythmusgefühl von Musikern oder bereits das Schätzen der nächsten Rotphase an der Ampel. Wie und in welchen Regionen diese Präzisionsarbeit abläuft, war bislang aber ein Rätsel. Neuen Forschungsergebnissen zufolge geschieht dies in eben jenen Nervenzellen des Hippocampus, die das menschliche „Navigationsgerät“ bilden. Sie lassen uns wissen, wo im Raum wir uns gerade befinden und wie wir an eine bestimmte Stelle zurückkehren können (für die Entdeckung dieser Positionierungszellen gab es 2014 den Nobelpreis für Medizin).
US-Neurologe Howard Eichenbaum stellte nun fest, dass die GPS-Zellen unter bestimmten Voraussetzungen nicht Entfernungen, sondern die Zeit messen und wie eine Art Stoppuhr das Verstreichen bestimmter Intervalle markieren. Womöglich herrscht in unseren Köpfen eine Art Raumzeit, die Erinnerungen in korrekter zeitlicher Abfolge erst möglich macht – wodurch wir uns wiederum an den Schalttag erinnern können.
Quelle: n-tv.de
Bilder: Pixabay
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