Die wohl heißeste Nachrichtengeschichte dieser Woche versteckt sich hinter einer halbnackten Lady Gaga mit auf die Brust geschnallten Maschinenpistolen. Das Cover der aktuellen Ausgabe des US-Musikmagazins “Rolling Stone” weist unabsichtlich auf den explosiven Inhalt hin, der dem Oberbefehlshaber des Afghanistan-Einsatzes den Job gekostet hat. Wegen seiner abfälligen Bemerkungen über US-Präsident Barack Obama und weitere Spitzenpolitiker musste General Stanley McCrystal am Mittwoch als Kommandeur der ISAF-Schutztruppe zurücktreten.
Möglicherweise hat sich der hochdekorierte Soldat in Anwesenheit des Autors Michael Hastings ungezwungener geäußert, als er es bei Journalisten der Nachrichtenmagazine “Time” oder “Newsweek” gewagt hätte. Ein Blick in die Archive des “Rolling Stone” hätte McCrystal aber gezeigt, dass das Magazin nicht nur mit dem Titelbild einer 17-jährigen Britney Spears in Unterwäsche für Skandale gut ist.
Manifest der Hippie-Generation
“‘Rolling Stone’ dreht sich nicht nur um Musik, sondern auch um die Dinge und Haltungen, die die Musik beschäftigen”, hatte Gründer Jann Wenner in der ersten Ausgabe 1967 als Motto ausgegeben. Der exzentrische Publizist schuf das Kiosk-Manifest zum Lebensgefühl der Hippie-Generation, in dem Musik, Sex und Politik eine Symbiose eingingen.
Das 1977 von San Francisco nach New York umgezogene Magazin war eine Petrischale für noch rohe Talente. Hier feierte die heutige Starfotografin Annie Leibovitz ihren Durchbruch. Sie verhalf dem “Rolling Stone” zum wohl berühmtesten Titelbild aller Zeiten, als sie am 8. Dezember 1980 John Lennon nackt um seine Frau Yoko Ono geschlungen fotografierte. Wenige Stunden später wurde der Musiker von Mark Chapman erschossen.
Schüler als Tourreporter
Das Magazin wagte es auch, einen 16-jährigen Reporter wochenlang mit der Allman Brothers Band auf Tour zu schicken. Cameron Crowe setzte im Jahr 2000 seinen Jugenderfahrungen in “Almost Famous” ein filmisches Denkmal.
Im “Rolling Stone”, der wie Mick Jaggers Gruppe nach einem Lied des Blues-Musikers Muddy Waters benannt ist, veröffentlichten Tom Wolfe und Hunter S. Thompson erste Fassungen ihrer späteren Romane “Fegefeuer der Eitelkeiten” beziehungsweise “Fear and Loathing in Las Vegas”. 1972 begleitete Gonzo-Journalist Thompson 1972 für das Magazin den Wahlkampf des demokratischen Senators George McGovern, Herausforderer von Präsident Richard Nixon.
McGoverns Parteifreunde kamen im Magazin des überzeugten Demokraten Wenner traditionell besser weg als ihre republikanischen Kollegen. Mehrmals hat das Magazin Bill Clinton und seinem Vize Al Gore Titelgeschichten gewidmet und 2006 neben einer Karikatur von George W. Bush die rhetorische Frage gestellt: “Der schlechteste Präsident der Geschichte?”
Enthüllungen über Scientology
Auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen wagte das Magazin die Kontroverse. Nach einem Enthüllungsartikel über die umstrittene Organisation Scientology hatte deren prominentester Vertreter Tom Cruise es abgelehnt, auf der Titelseite von Wenners neben dem Klatschblatt “Us Weekly” dritter Zeitschrift “Men’s Journal” zu erscheinen.
Ein Schwerpunkt der investigativen Berichterstattung lag in den vergangenen Jahren jedoch auf dem Militär. In “The Killer Elite” hatte der Autor Evan Wright US-Marines 2003 beim Sturm auf Bagdad begleitet. Im Dezember 2005 deckte James Bamford in “The Man Who Sold the War” auf, wie eine PR-Firma im Auftrag der Bush-Regierung der Öffentlichkeit den Irakkrieg mit fabrizierten Geschichten schmackhaft machen sollte. Die Reportagen wurden mit den prestigeträchtigen National Magazine Awards ausgezeichnet.
Dem Image des Blatts, dem zum 40. Jubiläum zunehmende Zahnlosigkeit vorgeworfen worden war, dürfte die McCrystal-Affäre aber mehr nutzen als alle Journalismuspreise. Selbst Starmoderatorin Diane Sawyer gab sich damit zufrieden, in einem spärlich beleuchteten Zimmer und bei schlechter Tonqualität mit “The Runaway General”-Autor Michael Hastings zu telefonieren. Der Journalist hält sich derzeit wieder in Afghanistan auf.
für ddp/dapd
Bilder: Rolling Stone