AlphaGos un-menschlicher Triumph: Wohin steuert die Künstliche Intelligenz?

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Wie werden spätere Generationen auf diesen Sieg zurückblicken? Zum ersten Mal hat eine künstliche Intelligenz einen Top-Spieler im Brettspiel Go geschlagen. Und das scheinbar mühelos und mit bisher ungekannter Kreativität. Wohin steuern die schlauen Computer?


Der historische Sieg für die Computer kam schneller als erwartet: Um etwa 9.15 Uhr deutscher Zeit gab Go-Meister Lee Sedol das Turnier gegen die künstliche Intelligenz AlphaGo verloren. Der Südkoreaner unterlag auch in der dritten von fünf Partien und spielt damit in den verbleibenden Durchläufen nur noch um die Ehre. Nach seiner Aufgabe blieb Lee am Spielbrett sitzen und schob in sich versunken die Steine hin und her. Der anfangs so siegesgewisse 33-Jährige ist einer der weltweit besten Go-Spieler und hatte doch scheinbar gegen das Computerhirn von AlphaGo keine Chance.

„Ich bin schockiert“, hatte Lee am Mittwoch seine Niederlage im Auftaktmatch gegen den Computer von Google DeepMind kommentiert. Der Großmeister zeigte sich von der „perfekten“ Spielweise seines Kontrahenten überrumpelt. Viele Beobachter wollten dem anfänglichen Sieg der Maschine in Seoul nicht allzu viel Gewicht beimessen. Schließlich musste sich Lee erst mit der völlig neuartigen Situation anfreunden. Und hatte nicht auch Schachweltmeister Garri Kasparow im ersten Spiel gegen den IBM-Computer Deep Blue verloren, nur um dann das Turnier für sich zu entscheiden?

Unmenschliche Entscheidungen

In Spiel zwei aber zeigte AlphaGo, wozu Computerhirne fähig sind. Die unter britischer Flagge spielende künstliche Intelligenz wählte am Donnerstag einen derart unkonventionellen Spielzug, dass Lee kurzzeitig seinen Platz am Brett verlassen musste. Ein solches Manöver habe es von einem menschlichen Spieler wohl noch nie gegeben, kommentierte Michael Redmond, der wie Lee mit dem 9. Dan den höchsten Rang unter Go-Spielern einnimmt.

Redmond hatte zuvor fälschlicherweise davon gesprochen, dass AlphaGo programmierten Manövern folgt. „Wir haben keine Ahnung, welche Züge es machen wird“, gab hingegen DeepMind-Forscher Thore Graepel zu. Genau das macht die neue Generation künstlicher Intelligenz aus: AlphaGo wurde anfangs mit allem Wissenswerten zu dem über 2.500 Jahre alten und überaus komplexen Spiel gefüttert. Dann aber übernahmen die tiefen neuronalen Netzwerke des Computerhirns die Arbeit. AlphaGo spielte immer und immer wieder gegen sich selbst und lernte dabei ständig dazu.

neuronen

Googles künstliche Intelligenz hatte Anfang des Jahres weltweit für erste Schlagzeilen gesorgt, als bekannt gegeben wurde, dass sie bereits im Oktober 2015 den Go-Europameister Fan Hui geschlagen hatte. Der wurde damals aber nur auf Platz 633 der Weltrangliste geführt, weshalb für viele Experten ein Sieg Lees nahezu beschlossene Sache war. In den fünf Monaten zwischen den Turnieren hat AlphaGo Beobachtern zufolge aber enorme Fortschritte gemacht. Dank der vom Mutterkonzern Google bereitgestellten, riesigen Speichermengen in der Cloud konnte die künstliche Intelligenz im Duell mit sich selbst offenbar Strategien entwickeln, mit denen ein menschlicher Meister überfordert ist.

Schönheit im Maschinenspiel

Natürlich gelten im Duell zwischen Mensch und Maschine gewisse Ungleichheiten. Eine Maschine wird nicht müde, frustriert und verspürt keinen Erfolgsdruck. Dessen ungeachtet ist AlphaGos Sieg ein historisches Ereignis – und das nicht nur angesichts der Komplexität von Go, dessen mögliche Spielzüge auf dem Raster aus 19 mal 19 Reihen die Zahl der Atome im Universum übersteigen soll. „Mich hat verblüfft, dass man nicht sagen konnte, wer der Mensch war und wer der Computer“, hatte Schiedsrichter Toby Manning bereits nach dem Match zwischen Fan und AlphaGo dem Wissenschaftsmagazin „Nature“ gesagt. Für den geschlagenen Europameister ist Googles Computerhirn nicht einfach ein dank schierer, brutaler Rechenkraft übermächtiger Gegner. Er entdeckte in AlphaGos Spiel eine nie gesehene Schönheit. „Es ist kein menschlicher Spielzug“, sagte Fan laut „Wired“ zu dem besonderen Moment im zweiten Match und fügte immer wieder hinzu: „Wunderschön.“

Dass künstliche Intelligenz die unausweichliche nächste Stufe der digitalen Evolution ist, stand schon vor dem Duell in Südkorea fest. Die Art und Weise, wie AlphaGo gesiegt hat, scheint aber zu unterstreichen, wie radikal und auch rasch die Schaltkreis-Hirne unseren Alltag verändern werden. Ein Durchbruch wie mit AlphaGo war von Experten erst in etwa zehn Jahren erwartet worden.

Schon heute ist eine künstliche Intelligenz mit dem Spitznamen RankBrain tief in die Suchfunktion von Google integriert. Nach den mehr oder minder effizienten Staubsauger-Robotern werden derartige Maschinen vermehrt in anderen Bereichen der Hausarbeit auftauchen, von der Industrie ganz zu schweigen. Digitale Assistenten wie Google Now, Siri (Apple), Cortana (Microsoft) oder Amazon Echo werden sich mithilfe künstlicher Intelligenz von besseren Suchmaschinen zu intuitiven und geschmeidigen Helfern entwickeln.

Und jetzt?

DeepMind-Mitbegründer Demis Hassabis erwartet spürbare Fortschritte bei den digitalen Assistenten in den nächsten zwei bis drei Jahren. Er schreibt es sich auf die Fahnen, der künstlichen Intelligenz mit AlphaGos neuronalen Netzwerken „Intuition“ beigebracht zu haben. Wissenschaftsgrößen wie Physiker Stephen Hawking und Tesla-Gründer Elon Musk warnen seit langem eindringlich vor den Gefahren für die Menschheit durch (zu) intelligente Maschinen. Und was passiert, wenn zum ersten Mal ein Computer völlig selbstständig ein gleichwertiges Gerät erbaut, sich also quasi fortpflanzt?

Fest steht: Die Einsatzmöglichkeiten künstlicher Intelligenz sind schier grenzenlos. DeepMind gab Ende Februar eine Kooperation mit dem britischen National Health Service bekannt. Mitbegründer Hassabis interessieren weniger Roboter, sondern vor allem die „geistigen“ Fähigkeiten seines Produkts. Schließlich hat der Brite nach einer erfolgreichen Karriere als Spieleentwickler seinen Doktor in Neurowissenschaften gemacht.

Der ATLAS-Detektor während des Baus.

Vor einigen Monaten war Hassabis zu Gast am Kernforschungszentrum Cern, wo mithilfe des Teilchenbeschleunigers derzeit nach dunkler Materie und anderen Geheimnissen des Universums geforscht wird. Auf den riesigen Festplatten könnte bereits längst der Nachweis für neue Elementarteilchen schlummern, nur hatte noch niemand Zeit, die Massen an Daten zu analysieren, sagte Hassabis „The Verge“. „Es wäre toll, falls (künstliche Intelligenz) eines Tages daran beteiligt wäre, ein neues Teilchen zu finden.“

Quelle: n-tv.de

Bilder: Pixabay; CERN