„Wonder Woman“: Mit den Waffen einer Frau

WONDER WOMAN

Aus der Flut der Superheldenfilme sticht Patty Jenkins‘ Comic-Adaption heraus. Die Regisseurin bescherte den amerikanischen Kinokassen das beste Startwochenende für den Film einer Frau aller Zeiten.


Wir können uns vor Superhelden nicht mehr retten. Im vergangenen Jahr war für viele Kinogänger mit «Batman v Superman: Dawn of Justice» ein Tiefpunkt des die Branche beherrschenden Genres erreicht. Drei lange Stunden ächzten die muskelbepackten Cape-Träger unter ihrer eigenen Grandiosität. Dann stahl ihnen eine leichtbekleidete Kriegerin die Show. Gal Gadots kurzes Debüt als Wonder Woman liess auf einen interessanten Neuzugang in der Riege der Comic-Helden hoffen. Der grosse Soloauftritt der Amazone übertrifft nun die Erwartungen. Patty Jenkins bescherte den amerikanischen Kinokassen das beste Startwochenende für den Film einer Regisseurin aller Zeiten. Von Geschlechterfragen abgesehen, ist «Wonder Woman» der richtige Superheldenfilm zur rechten Zeit.

Die vom Psychologen und überzeugten Feministen William Moulton Marston erfundene Comicfigur tauchte 1941 erstmals in einem Heft des Verlags DC Comics auf. Wonder Woman kämpfte anfangs gegen Nazideutschland. Jenkins (in ihrer erst zweiten Kinoarbeit nach «Monster», für den Charlize Theron 2004 den Oscar erhielt) und der Drehbuchautor Allan Heinberg haben die Filmhandlung ins Jahr 1918 verlegt. Kurz vor dem Ende des Ersten Weltkriegs stürzt der Spion Steve Trevor (Chris Pine) auf einer paradiesischen Insel ab. Abgeschottet vom Rest der Welt lebt dort das Kriegerinnenvolk der Amazonen. Sie wurden einst von den Göttern des Olymps erschaffen, um die Menschen vor den Einflüsterungen des Kriegsgottes Ares zu bewahren.

Das Ende der Unschuld

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Die idealistische Prinzessin Diana (Gal Gadot), bewaffnet mit Schwert und den Geschosse abwehrenden Armbändern, folgt Trevor nach London. Er will den deutschen Kriegstreiber General Erich Ludendorff (Danny Huston) und die Wissenschaftlerin Doktor Maru (Elena Anaya), die ein besonders tödliches Giftgas entwickelt, stoppen. Diana hingegen brennt darauf, an der Frontlinie in Belgien Ares aufzuspüren, zu besiegen und so den Krieg mit einem Schlag zu beenden. Doch die unbedarfte Amazone ist auf die wahren Greuel des Schlachtfelds und der menschlichen Natur nicht vorbereitet.

«Wonder Woman» hat am Startwochenende in den USA 102 Millionen Dollar eingespielt. Das war nicht nur die Bestmarke für eine Regisseurin, sondern auch das bis dahin drittbeste Startwochenende des Jahres hinter jenen von «Beauty and the Beast» und «Guardians of the Galaxy Vol. 2». Die Comic-Adaption zog mit 53 Prozent ungewöhnlich viele Frauen in die Kinos. Schon wird spekuliert, ob der Kassenerfolg die Position von Filmemacherinnen in Hollywood stärken kann. 2016 wurden laut einer Studie der San Diego State University nur sieben Prozent der erfolgreichsten 250 Filme von Regisseurinnen inszeniert, das sind zwei Prozentpunkte weniger als im Jahr zuvor.

WONDER WOMAN

Der Film entwickelte sich gar zum Politikum. Er durfte in Libanon und in Tunesien nicht anlaufen. Die Verbote wurden mit Gadots Militärdienst zur Zeit des Libanonkriegs 2006 begründet. Beim konservativen amerikanischen Fernsehsender Fox News kam der Vorwurf auf, diese Wonder Woman sei weniger «patriotisch». Der Grund: Die Sterne, die noch Lynda Carters Wonder-Woman-Kostüm geziert hatten, fehlen in der neuen Version.

Politisch wird es auch im Film selbst. Jenkins hat ein Werk mit Stolpersteinen gewagt. «Ares ist der Grund, warum die Deutschen kämpfen!» Wenn die Israelin Gadot zu Beginn des Films diesen Satz ausspricht, dürfte so mancher Zuschauer zusammenzucken. Auch an anderen Stellen im Film bleibt die Regisseurin beinahe unbequem nah an der Wirklichkeit. In einer Szene blickt Dr. Maru durch eine Luke in eine Kammer, in der ihr Giftgas Menschen tötet. Und als Diana am Ende des Films in der Jetztzeit an ihrem Arbeitsplatz im Louvre sitzt, ist draussen eine gewaltige Detonation zu hören. All diese Anspielungen auf reale Greueltaten dürften kein Zufall sein. Haben sie etwas in einem Unterhaltungsfilm verloren? Vielleicht schon, wenn dieser sein Thema ernst nimmt.

Keine leichte Kinokost

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Lehren bezüglich Moral, Anstand und Zivilcourage können gerade im Superheldenfilm schnell banal ausfallen. Sie sind aber ein entscheidender Grund, warum uns das Genre mit unseren übermenschlichen Stellvertretern seit Jahrzehnten fasziniert. Während Marvels Avengers und auch die DC-Comic-Helden mittlerweile vor allem mit Grabenkämpfen beschäftigt sind, wagt sich die Menschenretterin Wonder Woman in Zeiten von Kriegen und Terroranschlägen direkt an die Frage nach Gut und Böse. «Vielleicht verdienen wir dich nicht», meint Trevor zu Diana, als diese angesichts der Niedertracht und der Gewalt der Menschen zu verzweifeln droht. «Aber es geht nicht darum, wer was verdient. Es geht darum, woran du glaubst.»

Dabei kommt die Unterhaltung nicht zu kurz. Es gibt grandiose Kampfszenen, und gerade im ersten Drittel ist «Wonder Woman» ein sehr lustiger Film. Diana gleicht bei ihrer Ankunft in der Welt der Normalsterblichen Eliza Doolittle, ihre zupackende Unbekümmertheit erinnert an den jungen Indiana Jones (auch wenn sie statt mit der Peitsche mit ihrem goldenen Lasso der Wahrheit kämpft). All das schmälert zu keinem Zeitpunkt die Tatsache, dass die von Gadot verkörperte Heldin allen Männern haushoch überlegen ist. Dianas Dominanz ist absolut, doch dasselbe gilt für ihre Menschlichkeit.

★★★★☆

Quelle: NZZ.ch (14. Juni 2017) / „Neue Zürcher Zeitung“, 15. Juni 2017

Bilder: WARNER BROS. ENTERTAINMENT INC. AND RATPAC ENTERTAINMENT, LLC