„Neue Zürcher Zeitung“: Kathy Bates stellt gern weibliche Hollywood-Stereotype auf den Kopf. Sie mag wirken wie eine harmlose Mutterfigur, glänzt aber lieber als sadistische Psychopathin. Nun feiert der «Misery»-Star den 70. Geburtstag.
Kathy Bates war nie die schönste oder aufregendste Schauspielerin. Trotzdem stösst sie zu ihrem 70. Geburtstag auf eine weiterhin erfolgreiche Karriere an, bei der ihr Grössen wie Meryl Streep und Julia Roberts den Vortritt lassen mussten. Bates verkörpert in Hollywood einen Typ Frau, dessen Bodenständigkeit rein gar nichts mit Mittelmässigkeit zu tun hat. Bates wurde immer gern unterschätzt. Das hat sie oft mit ihren Figuren gemein. Diese Frauen aber lassen sich nicht in den Hintergrund drängen.
Durchbruch mit 42 Jahren
Lange Zeit sah es hingegen so aus, als sei die Schauspielerin aus Memphis eher zum Bühnen- als zum Leinwandstar gemacht. Sie spielte bei der Off-Broadway-Uraufführung des Theaterstücks «Frankie and Johnny in the Clair de Lune» die Titelheldin. Bei der Verfilmung ging die Rolle an der Seite Al Pacinos an die zehn Jahre jüngere Michelle Pfeiffer. Bates’ zweiter grosser Theatererfolg «Night, Mother» wurde mit Sissy Spacek für das Kino adaptiert. Nach diversen Film- und Fernsehrollen brachte dann endlich Rob Reiners Stephen-King-Verfilmung «Misery» den Durchbruch und einen Oscar.
Bates schuf mit der psychopathischen Krankenschwester Annie Wilkes, die einen Bestsellerautor zum Umschreiben seines Romans zwingt, eine der furchteinflössendsten Antiheldinnen des Horrorkinos. Ihre Darstellung war auch deshalb so effektvoll, weil sie Geschlechterklischees umkrempelte. Die eben noch so sanftmütige Annie geriet zum hammerschwingenden Albtraum eines wehrlosen Mannes. Sie trat zehn Jahre nach der King-Adaption «The Shining» die Nachfolge von Jack Nicholsons axtschwingendem Jack Torrance an. Mehr als das: Bates’ Academy Award ist bis heute der einzige für eine King-Verfilmung.
Der Oscar-Gewinn ist auch in anderer Hinsicht bemerkenswert. Bates siegte 1991 über einen Reigen weiblicher Archetypen Hollywoods. Die ein Jahr jüngere Ausnahmeschauspielerin Meryl Streep war für «Postcards from the Edge» bereits zum neunten Mal nominiert. Die strahlend schöne Newcomerin Julia Roberts («Pretty Woman») fieberte neben der aus altem Hollywood-Adel stammenden Anjelica Huston («The Grifters») und der Grande Dame Joanne Woodward («Mr. & Mrs. Bridge»). Am Ende aber überreichte Daniel Day-Lewis den Oscar für die beste Hauptdarstellerin an eine füllige Aussenseiterin aus Memphis, Tennessee. Kathy Bates, geboren am 28. Juni 1948, war zu diesem Zeitpunkt 42 Jahre alt. Ihre Karriere fing erst richtig an.
Gewalt gegen Frauen und durch Frauen ist ein bestimmendes Thema in der Karriere der Schauspielerin. In «Fried Green Tomatoes» zeigte sie als unterdrückte Südstaaten-Hausfrau auch ihre leichte Seite. Als «Dolores Claiborne» spielte Bates eine Haushälterin unter Mordverdacht, deren Tochter (Jennifer Jason Leigh) die grausame Wahrheit über ihre Kindheit erfährt. Das grösste Publikum erreichte die Mimin mit James Camerons Blockbuster «Titanic». Sie spielte die resolute «Unsinkable Molly Brown», die von Klassengrenzen genauso wenig hält wie von Chauvinismus.
Bates wurde noch zweimal als beste Nebendarstellerin für einen Oscar nominiert: 1999 mit der Bill-Clinton-Satire «Primary Colors», 2003 als fröhliches Gegenstück zu Jack Nicholsons deprimiertem Rentner in «About Schmidt». In einer Szene steigt die Mittfünfzigerin nackt und unbekümmert zu Nicholson in den Whirlpool. Er wendet peinlich berührt den Blick ab, Slapstick-Musik unterstreicht den vermeintlich skurrilen Charakter des Augenblicks. Als kurz darauf Nicholson seinen nicht mehr jungen Körper präsentiert, fehlt hingegen jeder humoristische Einschlag.
Bates ist Doppelmoral gewohnt. 2012 stellte der Sender NBC ihre Anwaltsserie «Harry’s Law» von «Ally McBeal»-Schöpfer David E. Kelley nach zwei Staffeln ein. Die Einschaltquoten waren gut, das Publikum den Werbekunden aber angeblich nicht jung genug. Bates nahm die Entscheidung persönlich. «Es war wirklich ein Schlag in die Magengrube», sagte die Hauptdarstellerin 2017 der «New York Times». «Kurz darauf wurde bei mir Brustkrebs diagnostiziert und ich dachte: Nun, das war es vielleicht für mich.» Bereits Bates’ Mutter und Tante waren an Brustkrebs erkrankt. Sie entschloss sich für die Amputation beider Brüste. In dieser Krise brachte eine Horrorfigur die Rettung, die Annie Wilkes wie ein frommes Lamm erscheinen liess.
Nett, aber nie harmlos
Erfolgsproduzent Ryan Murphy («Glee») hatte mit der Serie «American Horror Story» bereits die Karriere von Bates’ guter Freundin Jessica Lange neu belebt. 2013 tat er dasselbe für Bates. Sie übernahm in «American Horror Story: Coven» die Rolle einer pervers-sadistischen Sklavenhalterin im New Orleans der 1830er Jahre. Hier konnte Bates gleichermassen ihr Talent für Horror und Komödie beweisen.
«American Horror Story: Coven» bescherte Bates 2014 ihren zweiten Emmy (den ersten gab es für den Gastauftritt in der Serie «Two and a Half Men»). Erneut schlug sie Kollegin Julia Roberts («The Normal Heart»). Bates hat «American Horror Story» als persönliches «Wunder» bezeichnet. Die Serie hat ihr nicht nur aus einem Karrieretief geholfen, sondern sie auch emotional von Hollywood zurück an ihre Wurzeln geführt. «Meine Südstaaten-Persönlichkeit kehrt wieder, was mir gefällt», sagte Bates 2014 dem Magazin «Success». «Ich bin gefällig, freundlich, höflich, tolerant. Ich nehme mir die Zeit, die Namen von Leuten zu lernen – Leute, die ich im Supermarkt treffe.»
Bodenständig fällt auch ihr Privatleben aus. Die erste Ehe wurde 1997 geschieden. Seitdem geht Bates ohne Mann an ihrer Seite durchs Leben. Sie macht aus dem Umstand kein Aufhebens, versteckt ihn aber auch nicht. Auf Twitter engagiert sich sie sich für Tierschutz, gegen Präsident Donald Trump und sendet Stephen King zum 70. Geburtstag Glückwünsche seines «number one fan». Den Ausdruck verwendete Annie Wilkes, ehe sie beim verehrten Bestsellerautor zur nächsten Greueltat schritt. Ein fröhlicher Geburtstagsgruss mit eingebauter Folterdrohung – wehe dem, der Kathy Bates unterschätzt.
Quelle: „Neue Zürcher Zeitung“ (28. Juni 2018), NZZ.ch
Bild: Flickr/Gage Skidmore/CC BY-SA 2.0
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