
„WirtschaftsWoche“ (Magazin): Ältere Bewerber haben schlechte Karten. Diese Erfolgsgeschichten zeigen, welche Strategie bei der Jobsuche Ü50 zum Erfolg führt – und wie sehr sich der Karrierewechsel am Ende lohnen kann.
„Ich habe mir keine großen Chancen ausgerechnet. Natürlich hatte ich Existenzängste.“ Ein halbes Jahr vor seinem 60. Geburtstag war klar: Henning Kühl muss sich einen neuen Job suchen. Zwischenmenschlich stimmte es nach fast 25 Jahren nicht mehr zwischen dem promovierten Biologen und seinem Arbeitgeber, einem mittelständischen Pharmaunternehmen bei Hannover. Der Betriebsleiter fühlte sich zu einem Aufhebungsvertrag gedrängt und fand sich im September 2019 plötzlich auf dem freien Arbeitsmarkt wieder.
Das war ein Sprung ins kalte Wasser. „Mein letzter Lebenslauf war sicher 25 Jahre her“, erzählt Kühl. Im anfänglichen Frust dachte er wie viele Betroffene an Frühverrentung. „Aber ich habe immer gerne gearbeitet. Das ist sinnstiftender, als auf den Rentenbescheid zu warten.“ Viele Vorstellungsgespräche verliefen allerdings entmutigend. „Mir wurde schnell klargemacht, dass ich nicht der richtige Kandidat bin“, erinnert sich Kühl. Ein Personaler war auf bohrende Nachfrage ehrlich: „Zu alt.“
Kühls Beispiel zeigt, warum Bewerber über 50 Jahre eine besondere Strategie benötigen. Sie bewegen sich auf dem Arbeitsmarkt zwischen zwei erst mal widersprüchlichen Extremen: hohe Nachfrage und ständige Ablehnung. Die Coronakrise verschärft die Lage. „Der Arbeitsmarkt für die über 50-Jährigen sieht so gut aus wie noch nie“, attestiert zunächst einmal Ulrich Walwei, Vizedirektor des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit. Keine Altersgruppe habe so stark von dem Beschäftigungsaufschwung der vergangenen 15 Jahre profitiert. 2008 waren laut dem Statistischen Bundesamt nur 54 Prozent der 55- bis 64-Jährigen erwerbstätig. Zehn Jahre später lag der Anteil bereits bei 72 Prozent.
Ein wichtiger Grund für diese positive Entwicklung liegt neben dem demografischen Wandel in der immer besseren Qualifikation von Älteren, insbesondere von Frauen. „Je höher der Abschluss, desto größer ist die Chance, auch im höheren Alter im Arbeitsmarkt zu verbleiben“, erklärt Walwei. Firmen halten also bewährte Fachkräfte, die wiederum dem Arbeitgeber treu bleiben. Das zeigt sich bei der Arbeitslosenquote von Älteren. Sie lag 2018 für die 50- bis 54-Jährigen mit 2,4 Prozent deutlich unter dem allgemeinen Wert von 3,4 Prozent.
Gut ist die Lage allerdings nur, solange der Arbeitsplatz sicher ist. „Wenn sie ihren Job verloren haben, haben sich die Einstellungschancen für Ältere kaum verbessert“, warnt Walwei. Auch das schlägt sich in der Statistik nieder. 2018 war fast jeder zweite Arbeitslose über 55 Jahren mindestens zwölf Monate auf Jobsuche. Hinzu kommt, dass die Coronakrise ältere Menschen besonders getroffen hat. Ihre Arbeitslosenquote ist im Juni 2020 auf das Niveau aller Beschäftigten gestiegen.
Kühl musste früh erkennen, warum es ältere Bewerber so schwer haben. Er sah sich mit den immer gleichen Vorurteilen konfrontiert: eingefahren, aber mit Standesdünkel, womöglich häufig krank, will bis zur Rente nur noch eine ruhige Kugel schieben. Der Biologe konnte jedoch einen entscheidenden Vorteil ausspielen. Er hatte es nicht auf Kündigung und Rechtsstreit ankommen lassen, obwohl ihm das schwergefallen ist: „Mir war es wichtig, nicht arbeitslos zu werden.“
Jobsuche strategisch planen

Das ist für Walwei der Königsweg bei der Jobsuche Ü50. „Wiederbeschäftigung fällt aus Beschäftigung heraus tausendmal leichter“, betont der Experte. Ältere Mitarbeiter sollten deshalb besonders auf Warnzeichen achten, dass ihre Stelle in Gefahr sein könnte und versuchen, in eine andere Abteilung zu wechseln, wo die Lage vielleicht noch besser aussieht „Firmen möchten Mitarbeiter mit langjährigem Betriebswissen oft gerne halten. Hier lohnt es sich, Seniorität auszuspielen“, sagt Walwei.
Wenn das nicht klappt, ist gerade für Ältere Zugzwang angesagt. „Warten Sie nicht auf den Traumjob. Langzeitarbeitslosigkeit muss beinahe um jeden Preis vermieden werden“, mahnt der Experte. Da sei sogar ein (vorübergehender) Karriereknick die bessere Alternative. „Ein Akademiker sollte natürlich nicht Kassierer werden. Aber wenn ein Elektrotechniker von Daimler in einen KMU-Handwerksbetrieb wechselt, ergibt das auch für spätere Arbeitgeber Sinn“, sagt Walwei. „Bei einer sehr langen Jobsuche schauen Firmen hingegen dreimal hin und fragen sich, ob der Bewerber zu hohe Ansprüche hat.“
Dass Ältere seltener eingestellt werden, liegt laut dem Experten nämlich durchaus auch an den Betroffenen selbst. Sie bewerben sich schlicht seltener als jüngere Arbeitssuchende. „Das ist ein bisschen ein Mysterium und wirft die Frage auf, ob Ältere wählerischer sind, als es ihrer Lage angemessen wäre“, kritisiert Walwei.
Kühl wurden die Illusionen bei der Jobsuche hingegen früh geraubt. „Den alten Status geben Sie am Werkstor ab, ohne Abstriche geht es nicht“, hieß es beim ersten Treffen mit der Personalvermittlung Von Rundstedt. Kühls Noch-Chef hatte ihm die Outplacement-Beratung angeboten. „Ich kannte den Begriff nicht und war misstrauisch: Schieben die mich in eine Auffanggesellschaft ab?“, erinnert sich der 60-Jährige.
Er war aber schnell für die professionelle Unterstützung dankbar. Der Berater half zunächst, die Profile auf LinkedIn und Xing zu aktualisieren und das beste Porträtfoto auszuwählen. „Dann nahm das Ganze Fahrt auf“, merkte Kühl, als er nach dem Update bei Bewerbungen über Jobportale positive Antworten erhielt und sich die ersten Recruiter meldeten.
Der Kandidat lernte außerdem, sich im Vorstellungsgespräch gut zu verkaufen und Vorbehalte konkret zu kontern. Dass er überhaupt einen Job suchte, machte viele Gesprächspartner bereits misstrauisch. „Wirklich alle wollten wissen: Warum gehen Sie nach so vielen Jahren, haben Sie sich mit Ihrem Chef gestritten?“, berichtet Kühl. Die schlüssige „Trennungsstory“ – authentisch, aber mithilfe des Beraters „feingetunet“ – wurde zum Punkt, bei dem er glänzen konnte.
Dasselbe klappte mit dem „Elevator Pitch“, der 90-Sekunden-Schnellvorstellung, um beim Interviewer schlagartig Interesse zu wecken. Nach Anlaufschwierigkeiten war Kühl so gut, dass Von Rundstedt mit seinem Trainingsvideo sogar Kunden schult. „Man muss die Stellensuche wie einen Job angehen, viel Zeit reinstecken“, unterstreicht der Niedersachse.
„Ich muss mal was Neues machen“

Deutsche Bahn AG / Volker Emersleben
Es geht aber auch weniger professionell. Als Alexandra Klasen nach 30 Jahren beim selben Arbeitgeber einen neuen Job suchte, hatte sie nur ihre vier Kinder, um beim Lebenslauf zu helfen. Kühl schrieb Dutzende von Bewerbungen, Klasen kann ihre an einer Hand abzählen. Beim schnellen Erfolg der Elektromonteurin aus der Eifel kamen mehrere Faktoren zusammen: Fachkräftemangel, gute Qualifikation, Bereitschaft zum Lernen. Wie flexibel sie ist, hatte Klasen potenziellen Arbeitgebern bereits mit ihrer Jobsuche bewiesen – trotz oder gerade wegen ihres Alters.
„Ich war eigentlich unkündbar. Aber das Arbeitsleben plätscherte so vor sich hin und ich hatte das Gefühl: Ich muss mal was Neues machen. Außerdem wollte ich weniger unterwegs sein, mehr Zeit für die Familie haben“, erzählt die 51-Jährige. Sie suchte online und in Zeitungen nach freien Stellen. Von Tesla kam eine Absage. Dafür war gleich das erste Bewerbungsgespräch ein Volltreffer. Klasen hatte im Radio gehört, dass die Deutsche Bahn Mitarbeiter sucht und wenn nötig ausbildet. „Das hat mich total angesprochen.“
Einige Wochen nach der Online-Bewerbung war der Karrierewechsel perfekt. Die DB Netz AG bot Klasen eine Ausbildung zur Fahrdienstleiterin an, mit Übernahmegarantie bei bestandener Abschlussprüfung. Die konnte die Quereinsteigerin dank ihrer Fachkenntnisse nach fünf Monaten statt drei Jahren ablegen. Über die Ausbildung sagt sie: „Ich fand das toll, ich habe mich gefühlt wie in der Schule. Das Lernen fiel mir sogar leichter als einigen Jüngeren. Ich hatte teilweise ein bisschen mehr Ruhe.“
Klasen ist seit Ende 2019 am Standort Densborn für den Zugbetrieb zuständig, stellt Weichen und Signale. „Ich habe mit Abstand mehr Verantwortung als früher“, erzählt sie. Mehr Geld gibt es zwar nicht. Aber Klasen war bei der Jobsuche sogar bereit, auf Gehalt zu verzichten. Hauptsache, der Job fordert sie wieder: „Ich mache jetzt genau das, was ich gesucht habe.“
Vorteile ausspielen
Die Deutsche Bahn hat 2019 rund 3100 neue Mitarbeiter über 50 begrüßt. „Für uns spielt die Qualifikation und nicht das Alter die entscheidende Rolle“, sagt eine Sprecherin. Wer sich gezielt bei Firmen mit solcher Einstellung bewirbt, wird womöglich schneller fündig. Aufschlussreich sind zudem Rankings wie das der Bewertungsplattform Kunuu, das Firmen nach dem Umgang mit älteren Mitarbeitern beurteilt.
Eigentlich darf das Alter bei Bewerbungen keine Rolle spielen. Stichwort: Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz. Allerdings lässt es sich leicht aus dem Lebenslauf herauslesen. „Ich empfehle deshalb, offensiv mit dem Alter umzugehen“, sagt Martin Nehmer von der Personalberatung Von Rundstedt. Bewerber Ü50 sollten die Vorteile ihrer langen Karriere aufzeigen, Stärken und Erfolge im Lebenslauf wie in einer Werbebroschüre darlegen. Darüber ließen sich auch Vorbehalte wie „unflexibel“ oder „weniger lernfähig“ entkräften, rät Nehmer: „Überlegen Sie sich Situationen aus der jüngeren Vergangenheit, in denen Sie sehr flexibel reagiert haben oder schnell etwas Neues gelernt haben. Beschreiben Sie die erzielten Erfolge ganz konkret.“
Netzwerken ist für Nehmer ein Punkt, bei dem ältere Arbeitssuchende gegenüber Jüngeren sogar im Vorteil sind. Schließlich konnten sie bei mehr Kollegen und Geschäftspartnern einen guten Eindruck hinterlassen. Der Experte empfiehlt, einmal alle Kontakte aufzuschreiben und zu schauen, wer davon für die Jobsuche von Interesse ist.
Beim Schlagwort „Netzwerken“ winken viele Ältere allerdings überfordert ab. „Kontakte haben bei mir kaum eine Rolle gespielt“, sagt Kühl. Er hatte auch über Selbstständigkeit nachgedacht, wurde am Ende aber von einem Headhunter zu einem börsennotierten kanadischen Konzern geholt. Dort ist er für die Qualitätssicherung für Arzneimittel aus Cannabis zuständig. Der Bewerber überzeugte dank der guten Vorbereitung im Zoom-Vorstellungsgespräch, obwohl das spontan auf Englisch abgehalten wurde.
Kühl leitet jetzt in Baden-Württemberg ein junges Team. Er trägt bei gleicher Bezahlung weniger Verantwortung – aus freien Stücken. Über die Zeit hatten sich bei dem Betriebsleiter viele Aufgaben angehäuft, die mit seinem eigentlichen Beruf nichts zu tun hatten. Er nutzte die erzwungene Jobsuche zur Kurskorrektur. Beim freiwilligen Abstieg auf der Karriereleiter half die Erkenntnis: „Ich muss mir nichts mehr beweisen.“
Der Headhunter war übrigens ein alter, flüchtiger Bekannter. Er hatte sich über die Jahre immer mal wieder mit Jobangeboten gemeldet. Kühl lehnte stets ab – bis die letzte Offerte dann eben wie gerufen kam. Aber warum hat er den Kontakt nicht schon vor langer Zeit abgebrochen? Hier entdeckt Kühl plötzlich doch noch sein Talent zum Netzwerken: „Ich habe gelernt, dass es unklug ist, Türen zuzuschlagen.“
Eine Version dieses Artikels erschien im April 2021 in der „WirtschaftsWoche“ (Ausgabe 18); Online-Version: WiWo.de
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