Post-Relikt: Das Telegramm – 13 Euro für Tweet-Länge

Deutsche Post DHL Group

„Capital.de“: Die Post wird immer digitaler, selbst die Briefmarke kommt als QR-Code. Aber ein Relikt überlebt: das Telegramm. Mindestens 13 Euro kostet die ausgedruckte Kurznachricht. Die Post spricht von einem besonderen Produkt, ein Kunde hat da seine Zweifel.


Das Ende des Ersten Weltkriegs wurde per Telegramm verkündet. Noch während der Hamburger Sturmflut 1962 hofften Menschen per Fernschreiben auf ein Lebenszeichen aus den überschwemmten Gebieten. Manch ein Postbote schaffte es tatsächlich, den Empfänger aufzuspüren, obwohl dessen Haus nicht mehr stand. „Wenn Sie so wollen, ist das Telegramm der analoge Vorläufer der Messenger-App“, sagt Alexander Edenhofer, Pressesprecher der Deutschen Post AG. Das Telegramm ermöglichte es in Zeiten langsamer Postwege und als private Telefonanschlüsse noch nicht die Norm waren, eine Nachricht blitzschnell über lange Distanzen zum Empfänger zu bringen. Heute denken die meisten Menschen bei dem Wort zwar an einen umstrittenen Chat-Dienst. Der Namensgeber aber hat bis heute überlebt.

Seit 2015 kann das Telegramm auch im Online-Shop der Post aufgegeben werden. Geschieht dies bis 3 Uhr, wird die Nachricht laut dem Dienstleister in der Regel am selben Tag ausgeliefert. Wer es auch bei der Bestellung analog mag, kann den Grußtext telefonisch aufgeben. Generell sollten sich Kunden wie damals kurzfassen. Denn obwohl die Nachrichten längst nicht mehr aufwändig per Fernschreiber übermittelt werden, orientiert sich die Post bei der Preisgestaltung an früheren Zeiten – aus „historischen Gründen“, wie Edenhofer erklärt. 200 Extra-Zeichen kosten stolze 5,25 Euro. Sie werden auf die Basispreise aufgeschlagen. Für das Minitelegramm verlangt die Post 12,90 Euro. Erlaubt sind höchstens 160 Zeichen. Das entspricht in etwa den ersten beiden Sätze dieses Absatzes und der Maximallänge aus den Anfangstagen von Twitter.

So teuer ist ein Telegramm

Wer bis zu 480 Zeichen benötigt, zahlt beim Maxitelegramm 18,35 Euro. Noch mal 4,20 Euro kommen hinzu, wenn das Schreiben mit einem sogenannten Schmuckblatt verziert werden soll. Die Post fügt dann ein farbiges Bild bei, zum Beispiel von Blumen, Sektgläsern oder einer Treppe mit Herbstlaub („für trostspendende Worte“). Wer die Maximallänge ausschöpft, zahlt für ein Schmuckblatttelegramm 43,55 Euro – ziemlich viel Geld für eine ausgedruckte Botschaft. Wenigstens wird das DIN-A4-Blatt immer noch per Hand in den gelben Umschlag gesteckt.

Wie oft Kunden das Telegramm heute nutzen, dazu möchte sich die Post nicht äußern. Die Zahlen seien in den vergangenen Jahren wie bei Briefsendungen generell rückläufig, sagt der Sprecher. Wer sich für das Relikt aus den Anfangstagen der modernen Kommunikation entscheidet, setzt laut Edenhofer in erster auf das Schmuckblatttelegramm, etwa als Gruß zum Geburtstag oder zur Goldenen Hochzeit. Unternehmen nutzten das Telegramm zudem als Einladung oder auch für Mahnungen. „Der Vorteil besteht darin, dass es ein sehr aufmerksamkeitsstarkes Produkt ist, weil es persönlich vom Zusteller überreicht wird“, erklärt Edenhofer.

Jürgen Olschimke hat da so seine Zweifel. „Ob der Zusteller tatsächlich vor allem jetzt in Coronazeiten klingelt, kann ich zwar nicht beurteilen“, sagt der freie Journalist. Er hatte vor einigen Jahren für die Zeitschrift „Philatelie“ des Bundes Deutscher Philatelisten mehrere Selbstversuche unternommen. Schon damals wurde das Telegramm nicht immer persönlich übergeben, sondern landete auch mal schlicht im Briefkasten. Das soll eigentlich nur passieren, wenn der Empfänger nicht zu Hause ist. „Daher halte ich die Aussage ‚aufmerksamkeitsstarkes Produkt‘ doch für stark übertrieben“, meint Olschimke. Er vermutete damals: Telegramme sind so selten, dass manche Zusteller gar nicht wissen, was es mit dem gelben Umschlag auf sich hat. Denn spezielle Boten gibt es schon lange nicht mehr. „Da das Telegramm nur noch mit der normalen Post übergeben wird, halte ich den Preis für zu hoch“, kritisiert der Philatelie-Spezialist.

Das Telegramm – ein Auslaufprodukt?

Von Lieferproblemen mal abgesehen: Viele der Dienstleistungen, die das Telegramm einst besonders machten, fielen mit den Jahren dem Rotstift zum Opfer. Seit 2018 können Kunden ihren Gruß nicht mehr sonntags zustellen lassen oder ins Ausland schicken. Die einst große Auswahl bei den Schmuckblättern ist auf fünf Motive geschrumpft, Neuzugänge sind nicht geplant. Olschimke fragt sich, wer überhaupt noch Telegramme verschickt. Denn es gebe mittlerweile flexiblere und günstigere Alternativen, sowohl bei der Post selbst als auch bei anderen Dienstleistern: „Daher ist es für mich nur eine Frage der Zeit, bis es auch in Deutschland abgeschafft wird.“ In Indien, Frankreich, Österreich, der Schweiz oder seit 2021 auch in Ungarn gibt es das Telegramm nicht mehr.

„Wir überprüfen regelmäßig, welche unserer Produkte wie rege nachgefragt werden und ziehen daraus die notwendigen Rückschlüsse“, sagt Post-Sprecher Edenhofer. Dass das Telegramm überhaupt so lange überlebt hat, könnte ausgerechnet an den hohen Kosten liegen. Die schrecken zwar die meisten Interessenten ab. „Allerdings ist der Aufwand für die Post nicht sehr groß, im Vergleich dazu aber der Gewinn je Sendung sehr gut“, gibt Olschimke zu bedenken. „Daher bietet man dieses Produkt immer noch an, auch wenn der Gesamtumsatz, den man über die Sendungsnummern abschätzen kann, nicht mehr sehr groß ist.“

Quelle: Capital.de (18. April 2022)

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