„Früher haben mir Deutsche geholfen, jetzt können wir etwas tun“

Anas Alakkad (5. von rechts) und seine Mitstreiter im Sommer 2021 in Sinz. (Bild: Anas Alakkad)

„Deutschland.de“: Anas Alakkad kam 2015 aus Syrien nach Deutschland. Dann machte er Geflüchtete ihrerseits zu Helfern – erst im Ahrtal, nun im Ukraine-Krieg. Denn der Rettungssanitäter stellt fest: „Wir werden gebraucht.“


Plötzlich standen geflüchtete Syrer im Ahrtal vor der Tür und fragten: Können wir helfen? Das Engagement der Gruppe „Syrische Freiwillige in Deutschland“ während der Flutkatastrophe im Sommer 2021 hat nicht nur hierzulande Aufsehen erregt. Auch die britische Zeitung „The Guardian“ und der arabische Fernsehsender Al Jazeera berichteten über das außergewöhnliche Projekt. Dessen Fluthilfe – die bis heute andauert – war aber erst der Anfang. Mitinitiator Anas Alakkad und seine Mitstreiter helfen aktuell Opfern des Ukraine-Krieges bei der Flucht und bringen Hilfsgüter nach Polen. Ihre Facebook-Gruppe zählt mittlerweile mehr als 6000 Mitglieder. Alakkad will das Projekt weiter ausbauen – nicht nur als Dank an Deutschland, auch als Zukunftshoffnung für Menschen wie ihn.

Herr Alakkad, wie sah Ihr Leben vor der Flucht nach Deutschland aus?

Ich bin 2010 von Damaskus in den Libanon gezogen, um Medizin zu studieren. Nach vier Jahren ging ich für mein Studium nach Ägypten. Dort lebten bereits meine Schwester und eine Tante und dort habe ich angefangen, Deutsch zu lernen. Aus finanziellen Gründen konnte ich nicht in Ägypten bleiben, konnte aber auch nicht zurück nach Syrien. Ich wollte nicht im Krieg kämpfen. Deshalb bin ich im September 2015 nach Deutschland geflüchtet, über die Türkei, Griechenland, Österreich – erst nach Hamburg, dann kam ich ins Saarland.

Wie haben Sie sich in Deutschland aufgenommen gefühlt?

Sehr super, eigentlich. Mein Freund Faris Allahham, mit dem ich die Syrischen Freiwilligen in Deutschland gegründet habe, war die erste Person, die ich in der Aufnahmestelle gefragt habe, wo ich mich registrieren kann. Wir wurden schließlich von der Familie einer freiwilligen Helferin aufgenommen, bekamen die Kinderzimmer. Ich durfte anderthalb Jahre bei ihnen wohnen, Faris vier Jahre. Wir haben Deutschland mit einer großen deutschen Familie entdeckt. Ich wurde außerdem nach zwei Monaten vom Landessozialministerium als Übersetzer in einer Aufnahmestelle für minderjährige Flüchtlinge angestellt. Ich habe mich dann entschieden, zurück in die medizinische Welt zu gehen, einen Rettungssanitäterkurs gemacht und zwei Jahre als Rettungssanitäter beim Deutschen Roten Kreuz gearbeitet.

Wie wurden Sie zum Helfer bei der Flutkatastrophe?

Ein Bekannter, den ich bis dahin nur über Facebook kannte, hatte in einem Post angeregt, dass die vielen Syrer in Deutschland bei der Flutkatastrophe helfen sollten. Faris und ich hatten schon eine große Facebook-Seite wegen unseres Start-ups PontemPro.com, bei dem wir arabischsprachige Menschen bei der Ausbildung zum Rettungssanitäter unterstützen. Ich habe mir gedacht, dass vermutlich viele Geflüchtete nicht helfen, weil sie kein Deutsch sprechen. Wir wollten deshalb mit der Facebook-Gruppe „Syrische Freiwillige in Deutschland“ erst einmal Informationen zugänglich machen. Von dem Erfolg waren wir selbst überrascht. Am ersten Tag hatten wir vielleicht 100 Mitglieder, nach drei Tagen schon 1500.

Und viele Menschen wollten sich nicht nur informieren, sondern aktiv werden.

Ja, viele waren froh, dass sie erstmals die Möglichkeit bekamen, etwas zu tun. Für viele Geflüchtete ist es schwer, in einen Verein zu gehen, um sich zu engagieren. Bei uns aber war es unkompliziert. Die Helfer erhielten einfach eine Adresse, wo sie sich melden konnten, Ausrüstung bekamen und übernachten konnten.

Wie genau haben Sie den Flutopfern geholfen?

In den ersten vier Wochen ging es vor allem darum, die Schlammmengen aus Kellern und Wohnungen zu schaffen. Dann haben wir mehr Baustellenarbeiten übernommen, Estrich herausgerissen, Wände saniert. Das war sehr hilfreich für die Betroffenen, denn sie konnten so schneller zurück in ihre Normalität. Es gibt im Ahrtal ja einen großen Mangel an Baufirmen. Die Hilfe läuft bis heute, jetzt gerade gibt es mehr Gartenarbeit – einfach alles, was die Leute brauchen.

Ist Ihnen zu Beginn auch Skepsis entgegengeschlagen?

Vielleicht von 15 Prozent der Menschen. Ich habe anfangs einfach auf der Straße Leute angesprochen und gefragt, ob sie Hilfe brauchen, erklärt, wer wir sind und was wir machen. Wenn man sich vorstellt, haben die Leute keine Angst.

Wie kam es dann zu dem Engagement für die Menschen aus der Ukraine?

Wir hatten in unserer Gruppe bereits besprochen, in welchen Bereichen wir uns künftig engagieren könnten. Ich bin dann erst einmal im Oktober 2021 für ein Pflichtauslandssemester nach Polen an die Universität Katowice gegangen. Eigentlich wollte ich nach China, aber da gab es gerade keine Studentenvisa. Viele der Studierenden aus Katowice sind nun einige unserer besten Ehrenamtlichen. Meine Kommilitonin Magdalena engagiert sich besonders stark. Sie hat heute Morgen erst 16 Paletten mit Hilfsgütern von unserem Kooperationspartner „Wiesbaden hilft e.V.“ entgegengenommen und koordiniert die Verteilung an verschiedene Orte in die Ukraine.

Sie bringen aber auch Geflüchtete nach Deutschland?

Ja, die Ersten waren Syrer, die in der Ukraine gelebt haben. Sie waren nach Polen geflüchtet. Viele konnten kein Englisch und waren froh, dass sie mit uns Arabisch sprechen konnten. Wir selbst haben ungefähr 25 bis 30 Erwachsene und Kinder nach Deutschland gebracht, auch eine Katze und einen Hund. Indirekt über unser Netzwerk sind mehr als 150 Leute geholt worden. Momentan sind es aber nicht mehr so viele. Viele Menschen sind in die Ukraine zurückgegangen oder wollen lieber nach Polen, weil sie dort nicht in Zelten übernachten müssen und näher an ihrer Heimat sind.

Es gibt den Vorwurf, dass Flüchtlinge aus der Ukraine hierzulande herzlicher aufgenommen wurden als etwa Menschen aus Syrien.

Ja, das sehe ich auch so. Es ist aber nicht per se schlecht, sondern logisch. Die Deutschen hatten keine direkte Beziehung zum Krieg in Syrien, die Ukraine aber ist direkt in der Nähe. Die Kultur ist vertrauter, viele Leute hatten schon vorher Kontakt zu Ukrainern. Ich kann nicht sagen, dass das rassistisch ist, wenn die Deutschen ihnen mehr helfen als uns – es ist halt so.

Wollen Sie mit Ihrem Engagement Syrer auch stärker in der deutschen Gesellschaft sichtbar machen?

Ja, das ist eines unserer Ziele. Wir unterstützen Syrer zum Beispiel darin, eine Ausbildung zu finden, damit sie im Leben etwas erreichen können und der Gesellschaft zeigen, dass sie gute Menschen sind. Das beginnt bereits mit dem Ehrenamt: Man fühlt sich stark, wenn man hilft. Früher haben mir Deutsche geholfen, jetzt können wir etwas tun. Außerdem wissen wir, welche Ängste die Geflüchteten gerade durchleben.

Womöglich ist es für einige Ihrer Mitstreiter aber schwer, plötzlich wieder so nah an einem Kriegsgebiet zu sein.

Die psychologische Betreuung für Migranten ist schlecht. Traumatisierte Menschen müssen monatelang auf einen Termin warten. Wir machen das als Freunde, reden darüber als Gemeinschaft. Schwarzer Humor ist außerdem Teil der syrischen Kultur. Wir brauchen ihn, um zu überleben.

Wie gehen Sie persönlich mit dem Krieg um?

Ich bin ein Opportunist. Ich erkenne Möglichkeiten. Und hier bietet sich die Gelegenheit, damit Flüchtlinge sich im Ehrenamt engagieren, um anderen Geflüchteten zu helfen. Gleichzeitig unterstützen wir nicht nur Deutschland und geben etwas zurück, sondern ganz Europa. Das ist ein Krieg zwischen Russland und Europa, nicht zwischen Russland und der Ukraine.

Ist Deutschland jetzt Ihre Heimat oder möchten Sie irgendwann wenn möglich nach Syrien zurückkehren?

Ich würde vielleicht als Besucher zurückgehen. Aber ich habe noch viel vor in Deutschland und Europa. Ich mache im August 2022 meinen Bachelor, will vielleicht noch einen Master in International Relations ranhängen. Ich würde gern bei NGOs arbeiten oder bei den Vereinten Nationen.

Welche Hilfe benötigt Ihre Organisation, abgesehen von Spenden?

Wir brauchen Unterstützung, um eine gemeinnützige Unternehmergesellschaft zu gründen. Das ist wie eine GmbH, aber gemeinnützig. Das kostet aber viel Geld, rund 2500 Euro. Außerdem wäre es schön, ein großes Headquarter für unser Team zu haben, wo wir alles lagern können. Hätten wir ein größeres Gebäude, könnten wir mehr Einsätze machen.

Wo sollte die Zentrale liegen?

Am besten in Sinzig oder in Bad Neuenahr. Wir werden uns noch jahrelang in der Fluthilfe engagieren. Wir werden gebraucht.

Gekürzte Fassung auf Deutschland.de (12. Mai 2022)

(Das Gespräch wurde Mitte April 2022 geführt.)