
„WirtschaftsWoche Online“: Bodo Antonić rettet seit 20 Jahren Unternehmen. Entlassungen sind für den österreichischen Interim-Manager des Jahres die letzte Wahl. Er sagt: Menschlichkeit und klare Kante sind gefragt.
Bodo Antonić wurde von Dachorganisation Österreichisches Interim Management zum Interim-Manager 2023 gekürt. Der promovierte Chemiker (Jahrgang 1967) hat außerdem Physik, Medizin und Betriebswirtschaftslehre studiert. Er ist seit 20 Jahren Interim-Manager und spezialisiert auf die Bereiche Medizintechnik, Pharma und Chemie.
WirtschaftsWoche: Herr Antonić, wie viele Unternehmen haben Sie in Ihrer Karriere bislang gerettet?
Bodo Antonić: In den vergangenen 20 Jahren habe ich 20 bis 25 Unternehmen als Interim-Manager begleitet.
Begleitet? Sie konnten nicht jedes Unternehmen retten?
Beim Begriff „retten“ muss man ein bisschen aufpassen. Ich war auch in Konzernen mit dreistelligen Milliardenumsätzen. Die musste ich nicht retten, da habe ich mich um einzelne Bereiche gekümmert. Aber ein anderer Fall ist mir in Erinnerung geblieben. Bei einem Unternehmen, das war 2003, wurde mir rasch klar: Da ist nichts mehr zu machen, das gilt es nur noch abzuwickeln.
Was haben Sie daraus gelernt?
Mich eher von familiengeführten Unternehmen fernzuhalten. Dort geht es häufig um Vater-Sohn-Konflikte inklusive Scheidung und Alkohol. Das brauche ich ehrlich gesagt nicht.
Viele Interim-Manager spezialisieren sich erst zum Ende der Karriere auf diese Einsätze. Warum haben Sie sich früh für diese Laufbahn entschieden?
Ich war zunächst zwei, drei Jahre in der Pharmaindustrie angestellt. Dann ging mein damaliger Arbeitgeber in die Insolvenz. Ich war quasi einen Tag und eine Nacht arbeitslos, da brachte mir ein Bekannter meinen ersten Kunden: ein Dienstleistungsunternehmen, bei dem Marketing und Vertrieb neu aufgestellt werden mussten.
Sie wurden für die Sanierung einer kriselnden Unternehmensgruppe im vergangenen Jahr zum Interim-Manager des Jahres gekürt. Wodurch zeichnete sich dieser Fall aus?
Dass ich durch eine schwierige Übernahmesituation auf allen Ebenen gefordert bin. Meine Aufgabe bestand unter anderem darin, einen Unternehmensbereich auf eigene Beine zu stellen, inklusive Qualitätsmanagement über eigene Zertifizierung, Buchhaltung, Marketing und Vertrieb. Hinzu kam viel juristischer Ärger.
Und das Ergebnis?
Am Anfang hatten wir einen Kunden, dann keinen, jetzt 15. Ich muss vermutlich noch eine neue Produktion aufbauen, weil wir so stark wachsen.
Sie sind also noch in dem Betrieb?
Ja, seit mittlerweile zwei Jahren und drei Monaten.
Fällt das noch in den Bereich „Interim“?
Es gibt ja keine exakte Definition. Manche Mandate laufen eher sechs bis zwölf Monate, andere, vor allem hochkomplexe Restrukturieren zwei bis vier Jahre.
Wie gehen Sie vor, wenn Sie ein neues Projekt übernehmen?
Ich gehe da rein und gucke mir erst einmal alles richtig an. Ich unterhalte mich mit den Leuten. Von Mensch zu Mensch. Neugier ist das zentrale Instrument. Nach den ersten zwei bis vier Wochen bilde ich eine Art Hypothese: Woran könnte es liegen, dass es nicht läuft? Manchmal sind es Kleinigkeiten, die Aufschluss geben.
Zum Beispiel?
Kaum ein Mitarbeiter möchte mit mir reden oder sie entschuldigen sich übertrieben für einen eigentlich kleinen Fehler. Dann frage ich: Gibt es eine Kultur der Angst? Aber vielleicht sind auch die Produkte angestaubt und die Homepage sieht aus wie 1980? Ich gehe mit meinen Hypothesen zu Mitarbeitern und Kunden und frage: Was sagt ihr dazu? Nach vielleicht sechs Wochen setzen wir dann die ersten Maßnahmen um.
Oft scheinen Entlassungen bei einer Sanierung der erste einfache Schritt zu sein.
Ich habe in meinem Leben schon den einen oder anderen Mitarbeiter entlassen müssen. Aber nie wegen der Dividende, sondern weil er ein Stinkstiefel war: Herren, die sich nicht gegenüber Damen benehmen können, mit rechter Gesinnung oder gar kriminellem Verhalten. Ich habe bei meinem früheren Arbeitgeber selbst eine Insolvenz miterlebt. Das möchte ich niemandem antun. Ich bin kein Renditeoptimierer.
Wie gelingt Ihnen das?
Ich konnte zum Glück immer durch Restrukturierung sinnlose Kosten einsparen. Mein Spezialgebiet ist es, den Vertrieb zu optimieren, um mit der gleichen Zahl von Mitarbeitern mehr Umsatz zu erzielen. Damit das klappt, braucht es aber klare Ansagen.
Wie sehen die aus?
Die Mitarbeiter sind nicht doof. Sie sehen, wo es im Unternehmen nicht gut läuft. Ich sage klar, was mein Ziel ist: dass es mit dem Unternehmen weitergeht und sich alle wohlfühlen, Mitarbeiter, Eigentümer und Finanzamt. Wer private Probleme hat, darf ruhig mal zwei Stunden früher gehen. Dafür möchte ich aber auch keine Beschwerden hören, wenn mal eine halbe Stunde länger gearbeitet werden muss. Es ist ein Geben und Nehmen. 95 Prozent der Mitarbeiter verstehen das.
Damit das klappt, braucht es Autorität.
Nach dem ersten Meeting wissen die Mitarbeiter ohnehin, ob ich Ahnung habe oder ein Dampfplauderer bin. Dass ich Chemie, Medizin und Ökonomie studiert habe, hilft sicherlich. Ich muss aber vor allem meiner Mutter danken. Sie hat immer gesagt: Stelle deine Fragen, aber stelle keine blödsinnigen Fragen – also immer wertschätzend, und keine Fragen, die ich mir selbst beantworten kann.
Wie sehen dann zum Beispiel Lösungen aus, auf die die Firmenleitung nicht gekommen ist?
Manchmal verändern sich einfach der Markt und die Kundenstruktur. Ich sage dann: Wir beliefern nicht mehr nur Kundentyp A, zum Beispiel Bäckereien. Sondern 5 der 20 Mitarbeiter kümmern sich ab jetzt um Kundentyp B, etwa Metzgereien: Wer macht mit?
Wie überzeugen Sie Zweifler?
Ich stelle die Frage: Wozu machen wir das? Was passiert, wenn wir es bleiben lassen? Manche Spielregeln waren vielleicht vor zehn Jahren gut. Wenn sie aber ihres Sinnes beraubt wurden, müssen sie neu formuliert werden. Außerdem sind die Beschäftigten total gelangweilt von diesem Blödsinn. Am Ende sind sie glücklich, wieder richtige Arbeit verrichten zu können.
Wie gehen Sie mit dem Erwartungsdruck um, dass Sie die Firma retten müssten?
Wichtig war für mich die Erkenntnis, dass Allmachtsfantasie eine Illusion ist. Du kannst dein Bestes geben und mit ein bisschen Glück und Spucke klappt das auch. Aber denke ja nicht, dass du nicht scheitern kannst. Das nimmt den Druck.
Wer Fehler macht, trägt allerdings die Verantwortung.
Genau die Angst davor sorgt dafür, dass Entscheidungen vermieden werden. Unternehmen leiden daran, dass keine Entscheidungen getroffen werden.
Zumindest keine wegweisenden.
Entscheidungen, die keine sind, werden jeden Tag getroffen. Wenn es aber um die Zukunft geht, gibt es meist kein Richtig oder Falsch. Man kann es schlicht nicht wissen und muss am Ende einfach machen. War die Entscheidung falsch, korrigiert man sie – und versucht, es künftig besser zu machen. Jeder Mensch muss für sich einige wenige Leitlinien formulieren. Für mich ist es zum Beispiel Ehrlichkeit. Alles andere wird je nach Situation diskutiert. Ein gutes Unternehmen lässt sich ständig hinterfragen, durch Mitarbeiter, Kunden, Manager.
Und daran mangelt es in deutschen Führungsetagen?
Uns fehlt in der Gesellschaft die Fähigkeit, Verantwortung zu übernehmen. Sehr viele Menschen bleiben, da nehme ich Manager nicht aus, im Indifferenten. Die Kernaufgabe eines Managers besteht aber darin, Entscheidungen zu treffen – wohl wissend, dass er sie eigentlich nicht treffen kann.
(„WirtschaftsWoche Online„, 30. Oktober 2023)
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