Varanasi – Mit 15 Jahren war Farzana verheiratet, zwei Jahre darauf wurde ihr erstes Kind in die elende Welt eines Slums im indischen Varanasi geboren. Seitdem war die junge Frau fast durchgehend schwanger, mit Kind Nummer vier soll nun aber Schluss sein. “Ich hatte keine Ahnung von Familienplanung”, berichtet die 23-Jährige und drückt sanft ihre schlafende Tochter Fiza an sich.
Farzanas Leben änderte sich grundlegend, als sie nach der Geburt des Mädchens eine von der Urban Health Initiative (UHI) geschulte Nachbarin ansprach. Die Projekte der Organisation werden von Microsoft-Gründer Bill Gates finanziert. Ziel ist es, durch Aufklärungskampagnen in ausgewählten städtischen Elendsvierteln die hohe Todesrate unter Neugeborenen und Müttern zu senken. In Varanasi etwa sterben 71 von 1000 Säuglingen, landesweit sind es 57 Todesfälle.
Wie Farzana sind in der Stadt am Ganges rund 40 Prozent der jungen Frauen unter dem legalen Heiratsalter von 18 Jahren bereits Ehefrau. Die frühe Geburt des ersten Kindes und die rasche Abfolge von Schwangerschaften verstärken die Gesundheitsprobleme der ohnehin unterernährten Frauen in den Slums.
Von der UHI-Mitarbeitern wurde Farzana erstmals über den Einsatz von Verhütungsmitteln informiert und benutzt nun eine Spirale. „Ansonsten hätte ich weiter ein Kind nach dem anderen bekommen“, erzählt sie.
Nach einer Prognose der Vereinten Nationen wird am 31. Oktober der siebenmilliardste Erdenbürger geboren. Gut möglich, dass dieses Baby in Varanasi oder einem anderen Teil von Uttar Pradesh zur Welt kommt, dem mit fast 200 Millionen Menschen bevölkerungsreichsten Unionsstaat der nach Einwohnern zweitgrößten Nation der Erde.
Durch eine Gruppe von Frauen im Elendsviertel Jakkha in Varanasi geht ein Raunen, als sie erstmals von der Sieben-Milliarden-Marke hören. „Wenn das Kind in einem Slum geboren wird, wären die Eltern sicher erst einmal glücklich, weil das Kind etwas Besonderes wäre“, meint eine der Frauen. „Danach würden aber wieder die alltäglichen Probleme einsetzen.“
In der staatlichen Frauenklinik von Varanasi wird die neue Höchstmarke in der globalen Bevölkerungsentwicklung ebenfalls nüchtern betrachtet. „Das ist ein Anlass zur Besorgnis, nicht zum Feiern“, sagt die Leiterin Vidyawati.
Seit Botschafterinnen der UHI schwangeren Slum-Bewohnerinnen empfehlen, die möglicherweise tödlichen Risiken einer Hausgeburt zu umgehen und ihre Babys lieber kostenlos im Krankenhaus zu gebären, kann sich die Gynäkologin nicht über Arbeit beschweren. Etwa 500 Kinder werden pro Monat durchschnittlich in ihrer Einrichtung zur Welt gebracht.
Doch nicht nur Frauen werben in den Slums für einen bewussteren Umgang mit der Sexualität. In der gleichen Mission ist auch Ravindra Kumar Goga unterwegs. Der 28-Jährige nennt sich „Verhütungs-Magier“. Während eines Zaubertricks „durchbohrt“ er mit einem Säbel seine Ehefrau Khusboo.
Seine Tricks sollen das Bewusstsein der anwesenden Frauen im Slum Jakkha schärfen. Für derartige Auftritte wird er von der Urban Health Initiatve (UHI) engagiert und tourt durch den ganzen Unionsstaat Uttar Pradesh, um die Ärmsten der Armen ueber Familienplanung sowie Gesundheitsvorsorge aufzuklären.
Lediglich die betroffenen Frauen aufzuklären, ist jedoch nicht genug, wie die UHI-Verbindungsfrau im Slum Jakkha, die 32-jährige Gaytri, feststellen musste. „Oft wollen die Paare nur zwei Kinder“, erzählt sie. Die in Fragen der Familienplanung alles entscheidenden Schwiegermütter drängen aber nicht selten zu mehr Kindern, falls noch kein Sohn geboren wurde.
Andere Frauen haben Angst, ihren Wunsch nach der vom Staat bezahlten Sterilisation gegen ihren Gatten durchzusetzen. „99 Prozent der Männer hier sind Alkoholiker oder nehmen Drogen“, berichtet eine Nachbarschaftsaktivistin in einem anderen Elendsviertel der Stadt.
Dank Mund-zu-Mund-Propaganda der mit ihren Verhütungsmethoden glücklichen Frauen und Männer setzt sich aber vielerorts das Modell der Familienplanung durch. Der Verkauf der Pille oder von Kondomen zu niedrigen Preisen an Kiosken in Slums senken zudem die Zugangsschwelle zu Verhütungsmitteln.
Die vierfache Mutter Farzana hatte Glück und fand mit ihrem Plan für ein Ende des Kinderkriegens Gehör bei ihrem Mann, der als Rikschafahrer höchstens umgerechnet 4,50 Euro am Tag verdient. Die 23-Jährige hätte sich jedoch gewünscht, früher über die Möglichkeiten zur Verhütung erfahren zu haben.
Farzana, die selbst nie lesen gelernt hat, hofft, ihre Tochter auf eine weiterführende Schule schicken zu können. Für eine weitere Ausbildung sei jedoch kein Geld vorhanden. Die junge Mutter belässt es bei kleinen Hoffnungen: „Hauptsache ist, dass sie ihren Namen schreiben kann, falls sie sich verläuft.“
(für ddp/dapd; Artikel bei welt.de)
(Bilder: Ehtisham Husain/EPF)