„Jimmy’s Hall“: Ken Loachs letzter großer Film?

Jimmys Hall

Mit seiner Kritik an den Mächtigen und seinem besonderen Blick für den kleinen Mann ist Ken Loach zu einem der angesehensten Regisseure Europas geworden. Seinen großen Themen bleibt der Brite mit seinem neuen Drama „Jimmy’s Hall“ treu.


Ken Loach gibt sich bei der Frage nach dem gesellschaftlichen Einfluss des Kinos keinen Illusionen hin. Es könne die politische Debatte nicht beeinflussen, „im Großen und Ganzen bestätigen Filme den Status quo“, meint der Regisseur. Diese Einschätzung hat ihn aber nicht davon abgehalten, während seiner 50 Jahre währenden Karriere immer und immer wieder sehr viel mehr als Unterhaltung zu inszenieren. Soziale Ungerechtigkeiten und der Machtmissbrauch der Herrschenden sind die Jahrzehnte überdauernden Themen des britischen Filmemachers, der zu einer Art sozialem Gewissen linker Prägung im europäischen Kino geworden ist.

In puncto Arbeitseifer kann es Loach fast mit Woody Allen aufnehmen. Seit Anfang der 90er-Jahre hat er alle ein bis zwei Jahre einen Film fertiggestellt. Mit dem Drama „Riff-Raff“ über den Niedergang der Arbeiterklasse unter Margaret Thatcher war dem Briten 1991 der endgültige Durchbruch gelungen. Danach widmete er sich unter anderem dem Kampf gegen das Franco-Regime in „Land and Freedom“ (1995), dem Schicksal illegaler Einwanderer in den USA („Bread and Roses“, 2000) oder aber der Spaltung des irischen Volkes durch den Unabhängigkeitskrieg und die Teilung des Landes in „The Wind That Shakes the Barley“ (2006). Sich selbst bezeichnet der Regisseur als „anti-Establishment“. In den 70er-Jahren lehnte er es ab, den britischen Verdienst- und Ritterorden zu akzeptieren. Den Goldenen Ehrenbären auf der diesjährigen Berlinale nahm er hingegen mit Freuden entgegen.

Wahre Geschichte als Grundlage

Beim Filmfestival von Cannes ist Loach Dauergast. Dieses Jahr war er mit „Jimmy’s Hall“ zum elften Mal im Wettbewerb vertreten. Das Drama ist zehn Jahre nach den Ereignissen in „The Wind That Shakes the Barley“ angesiedelt und basiert auf dem wahren Leben des Aktivisten James Gralton. 1932 kehrt er (Barry Ward) aus dem US-Exil in den jungen Irischen Freistaat und sein ärmliches Heimatdorf zurück. Ein Jahrzehnt zuvor hatte er dort mit Freunden und Gleichgesinnten einen Tanzsaal eröffnet. Jimmys Ideen zu wahrer persönlicher Freiheit und Unabhängigkeit waren bei der katholischen Kirche und den Großgrundbesitzern gleichermaßen nicht gut angekommen und hatten den Aktivisten zur Flucht gezwungen.

Eigentlich will Jimmy nur seiner gebrechlichen Mutter zur Seite stehen und sich ansonsten aus allem raushalten. Auf Druck der perspektivlosen Dorfjugend eröffnet er dann aber doch wieder den alten Gemeindesaal. Dort wird nicht nur zu Jazz getanzt, sondern auch Gälisch gelehrt und über Literatur diskutiert. Damit gerät Jimmy wieder in Konflikt mit den Priestern, die das Bildungsmonopol für sich beanspruchen. Und auch im unabhängigen Irland halten die Mächtigen vor Ort so gar nichts von Rechten für Arbeiter und Pächter. Jimmys Gegner schließen sich zusammen, sein Traum von Freiheit droht erneut in Flammen aufzugehen.

Der letzte große Film

Ken_Loach_CannesAusgerechnet Loachs Drang zu größtmöglichem Realismus könnte dazu geführt haben, dass „Jimmy’s Hall“ womöglich der letzte Spielfilm des 78-Jährigen wird. Anstatt die Tanzhalle im Studio nachzubauen, entschlossen sich der Regisseur und sein Team, direkt vor Ort in der Einöde der irischen Grafschaft Leitrim zu drehen. Die meisten Darsteller wurden aus der näheren Umgebung rekrutiert. Die aufwändigen Dreharbeiten mit Hunderten von Mitwirkenden hätten Loach sehr zugesetzt, sagte Drehbuchautor Paul Laverty. Produzentin Rebecca O’Brien, wie Laverty seit den 90er-Jahren Loachs ständige Wegbegleiterin, meint daher: „Ich glaube, man kann mit ziemlicher Sicherheit sagen, dass dies der letzte große Film von Ken Loach ist.“

Sollte dies tatsächlich stimmen, wäre „Jimmy’s Hall“ ein angemessener, wenn auch nicht triumphaler Endpunkt für Loachs Karriere. Die Figuren bleiben etwas eindimensional und bei den zahlreichen Brandreden beider Seiten ist stets klar, auf welcher Seite der Regisseur steht. So aber tritt zumindest seine Botschaft offen zu Tage. Drehbuchautor Laverty formuliert sie so: „Ich hoffe, dass diese kleine Geschichte als Gegengift gegen unseren Instinkt wirken wird, sich gleichschalten zu lassen und sich den Mächtigen zu unterwerfen.“ Loach glaubt zwar nicht an einen weitreichenden Einfluss des Kinos, macht dafür aber in erster Linie die kommerziell orientierten Macher verantwortlich.

Alltag für eine bessere Zukunft

Und so formuliert der Regisseur am Ende seiner Karriere seine Aufgabe in einem bescheideneren Rahmen. „Auf jeden Fall kann das Kino die Erfahrungen gewöhnlicher Menschen würdigen. Und nur mittels der Darstellung des alltäglichen Lebens, seiner Dramen, Konflikte, Kämpfe und Glücksmomente können wir die Möglichkeiten der Zukunft erkennen.“ Mit Jimmy Gralton hat sich Loach einen Helden ganz nach seinem Geschmack gewählt, nämlich einen Mann, der einfach nicht anders kann, als für seine Überzeugungen einzutreten. „Wenn man ein politisches Bewusstsein hat, hat man keine Wahl“, sagt Loach über seinen Helden und könnte ebenso gut über sich selbst sprechen.

„Jimmy’s Hall“ kommt am 14. August in die deutschen Kinos.

Quelle: n-tv.de

(Bilder: Pandora Film; Wikimedia/Georges Biard/CC BY-SA 3.0)