The Artist Is Present? Im Falle Michael Fassbenders ist das wohl wahr, aber nicht völlig korrekt. Der Star der ziemlich irren Musiker-Komödie „Frank“ tritt fast ausschließlich mit riesigem Pappmaché-Kopf auf. Und das ist bloß der Anfang vom Wahnsinn.
Michael Fassbender hat das Gesicht eines Anführers. Ob Nazijäger („Inglourious Basterds“), Freiheitskämpfer („Hunger) oder Mutantenrebell („X-Men“): Der Ire mit dem intensiven Blick ist abonniert auf die Rolle des charismatischen, zu allem entschlossenen und nicht selten auch zwiespältigen Heldens. Die Paraderolle dieses dramatischen Prototyps spielt Fassbender ab Ende Oktober an der Seite von Marion Cotillard in der Shakespeare-Adaption „Macbeth“. Zuvor aber kommt der 38-Jährige als Anführer der komplett anderen Art ins Kino.
Sein ebenfalls titelgebender „Frank“ wird wie der Schottenkönig von seinem Hofstaat abgöttisch verehrt. Anstatt einer Krone trägt dieser Leading Man aber einen Blubberkopf aus Pappmaché, anstelle von Fassbenders stahlblauem Blick stieren Franks aufgemalte Augen unter spießiger Scheitelfrisur ins Publikum. Damit nimmt der pathologische Irrsinn in „Frank“ aber erst seinen Ausgang.
Suizidversuch als große Chance
Jon (Domhnall Gleeson) träumt in seiner öden, britischen Heimat von einem Leben als Rockstar. Verzweifelt ist der noch bei den Eltern lebende Callcenter-Mitarbeiter auf der Suche nach Inspiration. Das Banale in Kunst zu verwandeln ist Jons Ziel, aber leider nicht seine Begabung. Dann scheint ihm das Schicksal einen Knochen hinzuwerfen. Am Strand will sich ein Mann ertränken. Es ist der Keyboarder der durchreisenden Band Soronprfbs. Manager Don (Scoot McNairy) engagiert Jon kurzerhand als Ersatz für den Auftritt in der lokalen Kaschemme. Endlich hat Jon eine echte Nachricht mit seinen 14 Twitter-Followern zu teilen!
An Soronprfbs ist allerdings mehr als der Bandname ein Mysterium. Frontmann Frank (Fassbender) trägt einen überdimensionalen Pappmaché-Kopf mit aufgemaltem Gesicht und Belüftungsschlitzen. Keiner seiner Bandkollegen – auch nicht der stets nur Französisch sprechende Bassist – hat die blasseste Ahnung, wie ihr Bandleader darunter aussieht. Frank singt mit Jim-Morrison-artiger Inbrunst von Ingwer-Croutons in der Suppe und kreischenden Frequenzen pulsierender Unendlichkeit, während seine Jünger sich der orgiastischen Wahrheit seiner Botschaften hingeben und die fünf verstörten Zuschauer das Weite suchen.
Jon zögert dennoch nicht, als ihn Don kurze Zeit später zu einem erneuten Gig einlädt („#ThroughTheLookingGlass“). Statt eines Konzertwochenendes erwartet den Möchtegern-Rockstar aber ein Bootcamp im irischen Nirgendwo. Dort, so eröffnet ihm Don, werden Soronprfbs ein Album aufnehmen. Monate gehen ins Land, deutsche Touristen tauchen auf und verschwinden ganz schnell. Jon steigt langsam zu Franks Liebling auf. Das missfällt Franks Freundin, der kettenrauchenden und stets sauertöpfischen Clara (Maggie Gyllenhaal) gehörig. Als Jon die Band auf YouTube zur Berühmtheit macht, steht Frank vor der Wahl: Weiter wie gehabt oder hinaus in die Welt.
Wes Anderson meets „Rain Man“
„Frank“ wurde noch vor dem letzten „X-Men“-Teil gedreht und kam bereits im Mai 2014 in die britischen Kinos. Besser spät als nie. Denn der Film nach einem Drehbuch von Jon Ronson und Peter Straughan („Männer, die auf Ziegen starren“), die sich von Auftritten des britischen Komikers und Musikers Chris Sievey inspirieren ließen, ist ein Erlebnis der speziellen Art, eine wahnsinnige Mischung aus Wes Anderson und „Rain Man“. Jons Hashtag „ThroughTheLookingGlass“ trifft es am Ende sehr gut. Der Jedermann stolpert gemeinsam mit den Zuschauern in eine Parallelwelt, in der völlig andere soziale Normen gelten. Hier kann ein unbestreitbar extrem gestörter, aber auch zutiefst charismatischer Mann zum Anführer aufsteigen, seine Zwangsstörungen werden als totale Hingabe an die Kunst zum neuen Maß aller Dinge.
Der irische Regisseur Lenny Abrahamson („Garage“, „Adam & Paul“) hat mit der Besetzung Fassbenders einen echten Coup gelandet. Im Gegenzug ist leicht nachvollziehbar, was den Schauspieler mit der steilen Hollywoodkarriere an dem winzigen Projekt gereizt hat. In gewisser Weise greift „Frank“ die Themen aus „Shame“ auf, in dem Fassbender einen sexsüchtigen Mann gespielt hatte. Nun wird zwar gerade die Vermeidung völliger Entblößung zum Ziel. Aber auch Frank leidet unter extremen, psychischen Zwängen, denen er sich voll und ganz hingibt und damit so lange scheinbar gut fährt, bis alles um ihn herum zusammenbricht. Am Ende wird doch noch Fassbenders Gesicht entblößt – und fast wünschen wir uns den Pappmaché-Kopf zurück.
„Frank“ kommt am 27. August in die deutschen Kinos.
Quelle: n-tv.de
Bilder: Weltkino Filmverleih
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