
In einigen Jahren wird diese Diskriminierung von Frauen vielleicht zum Stoff eines erhebenden Hollywoodfilms. Schliesslich liebt die Branche Aussenseiter, die für ihre Rechte einstehen. Das gilt allerdings nur auf der Leinwand. Hinter den Kulissen herrscht in Hollywood ein männliches Establishment, an dem in vielen Bereichen die Gleichstellung der Frauen nahezu spurlos vorbeigegangen zu sein scheint. Das klingt übertrieben? Von den 100 Filmen mit den höchsten Einspielergebnissen 2014 in den USA wurden zwei Prozent von Frauen inszeniert. Um ganz genau zu sein: «Unbroken» von Angelina Jolie und «Selma» von Ava DuVernay. Die amerikanische Bürgerrechtsorganisation ACLU spricht angesichts solcher Statistiken zur Lage von Regisseurinnen in Hollywood von einer «beschämenden» Diskriminierung.
Kein Kavaliersdelikt
Diese könnte die Branche teuer zu stehen kommen. Im Oktober hat die Equal Employment Opportunity Commission (EEOC) damit begonnen, Dutzende von Regisseurinnen nach ihren Erfahrungen mit Diskriminierung aufgrund ihres Geschlechts zu befragen. Die amerikanische Bundesbehörde ist für die gesetzlich verbürgte Gleichbehandlung von Arbeitnehmern zuständig und könnte eine Sammelklage einreichen, sollte sie eine systematische Benachteiligung feststellen. Betroffene hoffen, dass dieses Mal mehr herauskommt als bei Prüfungen 1969 und 1984.
Die Zeit scheint aber reif für einen Wandel. Die Oscar-Preisträgerinnen Jennifer Lawrence, Meryl Streep, Patricia Arquette und Geena Davis haben in den vergangenen Monaten öffentlich Nachteile von Frauen bei Bezahlung und Rollenangeboten beklagt und dem Thema Auftrieb verliehen. Was für einige wie Jammern auf hohem Niveau klingt, stellt für andere eine realistische Einschätzung der Gegenwart und Zukunft dieser Schauspielerinnen dar. Forscher der University of Southern California haben die 700 Filme mit dem höchsten Einspielergebnis in den USA von 2007 bis 2014 (mit Ausnahme von 2011) untersucht. Demnach war weniger als ein Drittel der Sprechrollen mit Frauen besetzt. 2014 sei in keinem der Top-100-Filme eine Hauptdarstellerin über 45 Jahre zu sehen gewesen.
Angelina Jolie hat sich in dem von ihr geschriebenen und inszenierten Ehedrama «By the Sea» (Schweizer Kinostart: 10. Dezember) gleich selbst die Hauptrolle neben Ehemann Brad Pitt gegeben. «Sexismus gibt es in jeder Branche», sagte die Oscar-Preisträgerin unlängst der «New York Times». «Aber ich bin die erste Regisseurin, mit der Brad je gearbeitet hat. Wenn man darüber nachdenkt, scheint das nicht richtig zu sein.» Jolie produziert übrigens gerade einen Animationsfilm der Regisseurin Nora Twomey («The Secret of Kells»).
Tatsächlich scheinen weniger die weiblichen Stars vor der Kamera, sondern Frauen in Machtpositionen hinter den Kulissen der Schlüssel für eine zunehmende Gleichstellung zu sein. Besteht das Produzententeam zu mindestens einem Drittel aus Frauen, steigt der Anteil von Regisseurinnen um rund das Dreifache. Das ergab eine Untersuchung der San Diego State University. Bei von Frauen inszenierten Filmen hätten wiederum bis zu sechsmal häufiger Autorinnen das Drehbuch verfasst.
Noch aber ist der Einfluss von Frauen in der Branche verschwindend gering. Von den 700 in den USA erfolgreichsten Produktionen 2014 wurden laut der Studie lediglich 13 Prozent von Frauen inszeniert. Unter den Top 250 fiel ihr Anteil auf 7 Prozent. Nicht anders sieht es übrigens auf dem immer wichtigeren TV-Serienmarkt in den USA aus. Bei 16 Prozent aller in der Saison 2014/15 ausgestrahlten Folgen sassen Frauen auf dem Regiestuhl, wie die Regiegewerkschaft DGA ermittelte. Dabei sind Frauen und Männer gemäss Schätzungen an den amerikanischen Filmhochschulen noch etwa gleich stark vertreten.
Schweden ist Vorreiter
Überraschend ähnlich düster stellt sich die Lage in Europa dar. Laut vorläufigen Ergebnissen einer paneuropäischen Studie des European Women’s Audiovisual (EWA) Network führten Frauen bei rund 16 Prozent der zwischen 2003 und 2012 entstandenen Filme Regie. Lediglich Schweden verfolgt demnach konsequent die Gleichstellung weiblicher Filmschaffender und lässt ihnen 50 Prozent der staatlichen Filmförderung zukommen. Der Abschlussbericht der EWA soll auf der Berlinale 2016 präsentiert werden.
Bei der Filmförderung in der Schweiz könne hingegen von Chancengleichheit «keine Rede sein», heisst es vom Verband Filmregie und Drehbuch Schweiz ARF/FDS. Bis anhin liegen erst für das Format Kinofilm Zahlen zur Verteilung von Fördergeldern zwischen Projekten von Männern und Frauen vor, die vom Verband und von der Stiftung Focal in einer Studie zusammengetragen wurden. «In den Jahren 2013 und 2014 wurden Projekte von Regisseuren mit 55,3 Millionen Franken gefördert, Projekte von Regisseurinnen mit 14,8 Millionen Franken», sagt Geschäftsleiterin Ursula Häberlin.
Sie sieht einen Grund für die anhaltende Diskriminierung darin, «dass jedes Projekt einzigartig ist und es dadurch – im Unterschied zu anderen Branchen – schwieriger ist, einer systematischen Diskriminierung auf die Spur zu kommen». Viele der (weiblichen) Mitglieder des Verbands verlangen daher eine Quote bei der Vergabe der Fördermittel. Noch hat die Organisation eine solche Forderung nicht diskutiert. Aber, so betont Häberlin: «Sicher ist, dass ‹von selbst› nichts passiert und der politische Wille zu einer Gender-gerechten Förderung auch von oben kommen muss, wie dies in Schweden klar der Fall ist.»
„Neue Zürcher Zeitung“ (16. November 2015), NZZ.ch
Bilder: Facebook/Ava DuVernay; Universal Pictures International; Pixabay
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