Essen ist im Kino oft sinnlich und sinnstiftend. John Lee Hancocks Film über den Siegeszug von McDonald’s feiert hingegen die Verführungskraft des Kapitalismus.
Auf das Geruchskino müssen wir zwar noch warten. Doch wenn Michael Keaton zu Beginn von «The Founder» in einen dicken, saftigen McDonald’s-Hamburger beisst und verzückt die Augen verdreht, läuft dem einen oder anderen Zuschauer vermutlich das Wasser im Mund zusammen. Von der Tüte Popcorn für Kinogänger bis zu symbolträchtigen Sinnesfreuden auf der Leinwand: Essen ist auch im Kino oft sehr viel mehr als Kraftstoff für den Körper.
Neben Sex repräsentiert nichts so sehr unsere triebgesteuerten Begehrlichkeiten wie das Essen. Eins führt gern zum anderen, wie das kulinarische Vorspiel am geöffneten Kühlschrank in «Nine 1/2 Weeks» gezeigt hat. In «The Matrix» bietet sogar der Genuss virtueller Steaks Grund genug, den Freiheitskampf der Menschheit zu verraten. Mit Bergen süsser Leckereien können Kindheitsträume vom Schlaraffenland wahr gemacht («Charlie and the Chocolate Factory») oder kann eine dem Untergang geweihte Dekadenz offenbart werden («Marie Antoinette»).
Essen ist im Film auch ein gern genutztes Mittel, um Familien zusammenzuführen und Lebenskonflikte aufzulösen. Da lernt ein perfektionistischer Koch erst im Imbisswagen die wahre Bedeutung von Genuss und Lebensfreude («Chef»). In Ang Lees «Eat Drink Man Woman» verhandeln ein taiwanischer Meisterkoch und seine drei erwachsenen Töchter am Esstisch gegenseitige Erwartungen und persönliche Lebensentwürfe. Und in «Ratatouille» ist es ausgerechnet das titelgebende schlichte Gemüsegericht, das einen hartherzigen Restaurantkritiker an seine Menschlichkeit erinnert.
Auch Ray Kroc (Keaton) erfährt zu Beginn von «The Founder» ein gastronomisches Erweckungserlebnis. Dafür ist allerdings nicht die Qualität der Hamburger im allerersten McDonald’s-Schnellrestaurant im kalifornischen San Bernardino verantwortlich. Der erfolglose Vertreter verfällt 1954 Hals über Kopf der industriellen Perfektion, mit der die Brüder Dick (Nick Offerman) und Mac McDonald (John Carroll Lynch) in noch nie da gewesener Geschwindigkeit Burger zubereiten.
Kroc überredet die Brüder, die ganzen USA in den Genuss ihrer Fast-Food-Revolution kommen zu lassen. McDonald’s wird in der Vision des gewieften Verkäufers zur «neuen amerikanischen Kirche», in der Familien gemeinsam Brot brechen. Am Ende raubt Kroc den Firmengründern ihr Lebenswerk und ihren Namen. Dennoch gerät er in der Darstellung des Regisseurs John Lee Hancock nicht zum reinen Schurken. In ihm vereinen sich Dreistigkeit, Vermarktungsgeschick und unerbittlicher Erfolgswille zu einer unappetitlichen und doch faszinierenden Version des amerikanischen Traums zwischen Oberflächlichkeit und Tiefenpsychologie.
Während Hancock seinem Protagonisten die Ambivalenz lässt, bemüht er sich gerade am Ende auffallend, dem mächtigen Konzern McDonald’s nicht zu nahe zu treten. Fatale Folgen der Fast-Food-Industrie für Gesundheit und Umwelt, wie sie die Kinodokumentationen «Super Size Me» und «Food, Inc.» untersucht haben, werden nicht thematisiert.
Die scharfe Kritik bewahrte sich Hancock für ein Marketingdebakel in eigener Sache auf. «Es ist sehr enttäuschend. Niemand wusste, dass wir existieren», kritisierte der Regisseur im Nachrichtenmagazin «Newsweek» die Tatsache, dass «The Founder» dieses Jahr bei den Nominierungen der Oscars und Golden Globes leer ausging. Hancock warf dem Filmverleih der Brüder Harvey und Bob Weinstein vor, sein Werk nicht gut genug beworben zu haben – besonders bitter für ein Lehrstück über die Macht des Marketings.
★★★★☆
Quelle: NZZ.ch / „Neue Zürcher Zeitung“, 20. April 2017
Bilder: Splendid Film
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