Die Albtraumfabrik – Stephen King und Hollywood

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„Neue Zürcher Zeitung“: Stephen King ist Hollywoods liebster Horrorlieferant. Die fruchtbare Beziehung hat Meisterwerke und auch Flops produziert. King fördert die Verfilmung seiner Geschichten, hält sich mit Kritik aber nicht zurück.


Die Geisterzwillinge im Hotelflur, die blutüberströmte Ballkönigin, der Monsterclown in der Kanalisation: Stephen King hat Hollywood seinen grauenhaften Stempel aufgedrückt. Vor mehr als vierzig Jahren feierte der Schriftsteller sein Kinodebüt. Seitdem hat sich der Meister des übersinnlichen Horrors und zwischenmenschlichen Grauens zum wohl meistadaptierten zeitgenössischen Autor des amerikanischen Kinos entwickelt.

King hat bisher literarische Vorlagen für über 200 Film- und Fernsehproduktionen geliefert. Das Ergebnis ist in mehrerer Hinsicht ein Œuvre der Gegensätze zwischen B-Movie-Grusel und meisterhaften Charakterzeichnungen, Kritikerschelte und erst spätem Kultstatus. Kings breitgefächerte Themenvielfalt fasziniert Filmemacher, inspiriert sie aber auch zu sehr eigenständigen Kreationen – nicht immer zur Freude des Autors.

Was macht King für Hollywood so interessant? Diese Frage ist nicht nur anlässlich seines 70. Geburtstags gerade wieder sehr aktuell. Als das Branchenmagazin «The Hollywood Reporter» 2012 erstmals die mächtigsten Autoren des amerikanischen Filmgeschäfts kürte, thronte Stephen King auf dem Spitzenplatz. Bereits mit seinem 1974 veröffentlichten Debütroman «Carrie» über ein Mädchen, das tödliche Rache an seinen grausamen Mitschülern und der religiös-fanatischen Mutter nimmt, hinterliess der damalige Lehrer aus Portland, Maine, dauerhafte Spuren in der Pop-Kultur.

Brian De Palmas Adaption aus dem Jahr 1976 mit der dafür Oscar-nominierten Sissy Spacek gilt als einer der einflussreichsten Horrorfilme aller Zeiten. Vom blutbesudelten Abschlussball-Massaker über Carries telekinetische Fähigkeiten bis hin zu ihrer Leichenhand, die aus dem Grab hervorschnellt – etliche Momente dieser King-Verfilmung sind zu klassischen Versatzstücken des Horror-Genres geworden.

 

Der Star

Auch die zweite Verfilmung eines King-Romans schrieb Kinogeschichte. Stanley Kubricks «The Shining» (1980) gilt vielen Filmschaffenden, Fans und Kritikern als die bedeutendste Adaption des Autors. «Ich fand, es war eine der raffiniertesten und aufregendsten Geschichten des [Horror-]Genres, die ich je gelesen hatte», so erläuterte Kubrick dem Filmkritiker Michel Ciment seine Wahl von Kings drittem Roman, «The Shining».

Der als Genie gefeierte Schöpfer von «2001 – A Space Odyssee» (1968) und «A Clockwork Orange» (1971) hatte nach dem finanziellen Misserfolg seiner Thackeray-Adaption «Barry Lyndon» (1975) eine publikumswirksame Geschichte gesucht. Ihn reizte besonders Kings Katz-und-Maus-Spiel mit dem Leser. Die Geschichte «lässt dich denken, dass das Übernatürliche am Ende durch das Psychologische erklärt wird: ‹Jack muss sich diese Dinge einbilden, denn er ist verrückt›», sagte Kubrick über den Protagonisten Jack Torrance (Jack Nicholson), der in einem einsamen Spukhotel Jagd auf seine Familie macht. «Das erlaubt es dir, deinen Zweifel am Übernatürlichen aufzugeben, bis du so in der Geschichte gefangen bist, dass du es akzeptierst, fast ohne es zu bemerken.»

Kings Popularität unter Filmschaffenden ist auch der schieren Masse an Material geschuldet. Neben den mehr als fünfzig Romanen hat der Autor rund 200 Kurzgeschichten verfasst. Eine von ihnen wurde zu einem seiner grössten Kinoerfolge – wobei der Begriff fast irreführend ist. «The Shawshank Redemption» (1994) erntete zwar viel Kritikerlob und war für sieben Oscars nominiert, bisher die Höchstmarke für eine King-Verfilmung. An den Kinokassen aber spielte Frank Darabonts Gefängnisdrama über einen unschuldigen Häftling nicht einmal die Produktionskosten ein.

Erst mit der Zeit erlangte die Verfilmung der Kurzgeschichte «Rita Hayworth and Shawshank Redemption» Kultstatus. Das American Film Institute wählte sie 2007 in seiner Top-100-Liste auf Platz 72 – noch vor «Pulp Fiction» und «Easy Rider». Und in der User-Wertung der Internet-Datenbank IMDb hält sich das Drama seit 2008 auf Platz 1 der besten Filme aller Zeiten.

 

Der Unbequeme

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«The Shawshank Redemption» zeigt eine andere Seite des Autors, die Filmemacher ohne ausgeprägten Geschmack für blanken Horror fasziniert. Die Macht der Freundschaft zwischen Underdogs, die im Angesicht übermächtiger, sadistischer Widersacher obsiegen, zählt zu den wiederkehrenden Motiven in Kings Büchern. Zwar hat der Autor in «Cell» (2016, Regie: Tod Williams) Mobiltelefone in Killermaschinen verwandelt, den mörderischen Oldtimer «Christine» (1983, John Carpenter) erdacht, parasitäre Aliens («Dreamcatcher», 2003, Lawrence Kasdan) und Kuscheltier-Zombies («Pet Sematary», 1989, Mary Lambert) auf die Menschheit losgelassen.

In erster Linie aber ist King ein Meister der feinsinnigen Figurenzeichnung. Besonders deutlich wurde dies in Rob Reiners «Stand by Me» (1986). Vordergründig handelt die Verfilmung einer Kurzgeschichte von der makabren Suche von vier Schuljungen nach einer Leiche. Im Zentrum steht jedoch die unverbrüchliche Freundschaft zwischen dem Kleinstadt-Outlaw Chris (River Phoenix) und Kings Alter Ego Gordie (Wil Wheaton), der um seinen toten grossen Bruder trauert.

Auch mit seinem Erfolgsroman «It» hat King der Macht der Freundschaft ein Denkmal gesetzt. Pünktlich zum 70. Geburtstag des Autors kommt die Geschichte des «Losers‘ Club» und von dessen Kampf gegen ein übernatürliches Monster ins Kino (Start am 28. September). Es ist jedoch kein Zufall, dass «It» trotz der anhaltenden Popularität des Romans erst 31 Jahre nach der Veröffentlichung in die Kinos kommt. «It» erstreckt sich in der Originalausgabe über 1138 Seiten. So hat sich das Studio denn auch dazu entschieden, die dreissig Jahre auseinanderliegenden Zeitebenen des Romans auf zwei Filme zu verteilen.

Der erste handelt von den Kindern, der zweite vom Endkampf der Erwachsenen. Zudem verliert Kings oft sehr persönlicher und skurriler Horror bei der Übersetzung auf die Leinwand schnell an Schrecken. Daran krankte auch die bisher einzige «It»-Adaption, ein TV-Zweiteiler aus dem Jahr 1990 mit Tim Curry als Horrorclown Pennywise. Dieses übernatürliche Wesen erscheint seinen Opfern als ihr persönlicher Albtraum, zum Beispiel als Mumie oder riesiger Raubvogel. Was in der Vorstellungskraft des Lesers für schlaflose Nächte sorgen kann, erscheint vor der Kamera leicht als billiger Gag vom Rummelplatz.

Der Autor hält sich mit öffentlichem Lob und Tadel an den Adaptionen seiner Geschichten nicht zurück. Während King sowohl «The Dark Tower» als auch «It» für gut befunden hat und «Stand by Me» als beste Verfilmung einer seiner Geschichten würdigt, vermag er den Kult um «The Shining» nicht nachzuvollziehen. «Er ist wie ein grosser, schöner Cadillac ohne Motor», meinte der Autor rückblickend im Gespräch mit der Branchen-Website «Deadline» über den Film. Jack Torrance durchlaufe bei Kubrick keinen tragischen Handlungsbogen, denn der Vater sei – anders als im Buch – bereits in der Anfangsszene dem Wahnsinn verfallen. In den Händen Stanley Kubricks ist der autobiografisch angehauchte Roman «The Shining» zu einer ureigenen Schöpfung des Kinos geworden. Martin Scorsese zählt den Thriller zu den besten Horrorfilmen aller Zeiten.

 

Der Pragmatiker

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King liefert Hollywood nicht nur im Jahrestakt neue Geschichten. Der Schriftsteller fördert die Adaption seiner Werke aktiv durch eine transparente Rechtepolitik, womit er so manchem Neuling den Karrierestart erleichtert hat. Seit Ende der siebziger Jahre erlaubt er es Filmstudenten, seine Kurzgeschichten zum symbolischen Preis von einem Dollar zu adaptieren. Diese «Dollar-Babys» dürfen ohne Kings Erlaubnis nicht kommerziell verwertet werden. Einer der ersten Nutzniesser dieser Nachwuchsförderung war Frank Darabont. King gefiel dessen Kurzfilm so gut, dass er ihm kurz darauf die Rechte für die «Shawshank»-Verfilmung einräumte. Darabont brachte 1999 mit «The Green Mile» ein weiteres Gefängnisdrama Kings auf die Leinwand.

Ein Filmemacher, mit dem der Autor übrigens allzu gern einmal arbeiten würde, ist der Däne Lars von Trier. «Ich finde, er ist der talentierteste, grossartigste Regisseur der Welt», sagt King. Am Ende betrachtet sich King in Hollywood immer noch als Aussenseiter: «Bei einer nicht so gelungenen Verfilmung kann ich sagen, dass ich damit nichts zu tun hatte. Ich bin bei dieser Tragödie bloss Zuschauer.»

 

Quelle: NZZ.ch/ „Neue Zürcher Zeitung“, Beilage „Literatur und Kunst“, 16. September 2017

Bilder: StephenKing.com/Shane Leonard, Warner Bros.

 

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