„Neue Zürcher Zeitung“: „3 Tage in Quiberon“ setzt der Leinwandgöttin Romy Schneider ein menschliches Denkmal. Der Film erinnert an eine Zeit, als der Niedergang der Kinostars begann.
„Sind Sie Madame Sissi?“, fragt der Junge ehrfürchtig. „Nein, ich bin Romy Schneider“, berichtigt ihn der 42-jährige Filmstar in „3 Tage in Quiberon“. Zeit ihres Lebens haftete das klebrige Prinzessinnen-Image Schneider an. Dieses Schicksal teilte sie mit vielen Kinogöttinnen vergangener Zeiten. Ob Sexbombe (Marilyn Monroe), aristokratisches Seelchen (Audrey Hepburn) oder schlicht „Die Göttliche“ (Greta Garbo): Diese Schauspielerinnen waren noch Ikonen, die den Titel verdienten – im Guten wie im Schlechten. Sie wurden angebetet und auf Archetypen festgelegt. Individualität störte das Image nur, übte aber eine umso grössere Faszination auf das Publikum auf. Die Gier nach mehr Menschlichkeit auf beiden Seiten hat zum Niedergang des Filmstars beigetragen.
Eine Kaiserin hält Hof
Emily Atef nähert sich in „3 Tage in Quiberon“ mit einer Momentaufnahme dem Phänomen Romy Schneider. Die alkoholkranke Schauspielerin hatte nur noch etwas mehr als ein Jahr zu leben, als sie sich im Frühjahr 1981 in den bretonischen Kurort Quiberon zurückzog. Ganz ohne Publikum konnte Schneider aber nicht sein. Sie lud Michael Jürgs (Robert Gwisdek) vom Hamburger Magazin „Stern“ für ein Exklusivinterview nach Quiberon. Affären, Scheidungen, finanzieller Ruin, „Landesverräterin“ – die schon mit 20 Jahren vor der „Sissi“-Hysterie zur grossen Liebe Alain Delon nach Frankreich geflüchtete Schauspielerin war immer für Auflage gut.
Am Ende aber ist in dem Film selbst der zynische Journalist der Magie Schneiders nicht gewachsen. Eines Abends bezaubert sie in einem einfachen Hafenlokal alle Gäste vom Kind bis zum alten Dichter-Clochard. Die Filmgöttin steigt herab zu den Normalsterblichen und hält Hof. Fast scheint sie ein Gast wie jeder andere zu sein. Fast. Distanz und Intimität – das Machtspiel mit diesen Grundprinzipien des Star-Daseins beherrschte Schneider nach der Lesart Atefs meisterhaft. Kein Wunder. Der vielleicht grösste deutsche Filmstar war in gleich doppelter Hinsicht eine Kunstfigur des Kinos. Schneider wurde vor der Kamera nicht nur zum Idol, sondern auch zur Frau.
Die gebürtige Wienerin war 17 Jahre alt, als sie 1955 in Ernst Marischkas Kostümfilm zur jungfräulichen Kaiserin wurde. Im selben Jahr verführte jenseits des Atlantiks Marilyn Monroe mit fliegendem Rock in „The Seven Year Itch“ das Publikum und Grace Kelly kurvte in „To Catch a Thief“ mit Cary Grant durch Nizza. Diese Diven erschienen auch wegen ihrer scheinbaren Entrücktheit aus dem banalen Alltag als überlebensgross. Die mächtigen Hollywoodstudios und Agenten kontrollierten das öffentliche Bild der wertvollen Zuschauerlieblinge. Wortmeldungen der Stars waren nicht an der Tagesordnung, der Zugang zu ihnen wurde eifersüchtig gehütet. Interviews gerieten zu Audienzen, bei denen jedoch den Journalisten quasi als „Hohepriestern“ die Deutungsmacht zukam.
Schneiders Karriere verlief parallel zur allmählichen Menschwerdung der Leinwandgötter. Sie selbst hatte sich dem Idol-Klischee entzogen und sich lieber „wahren“ Frauenrollen verschrieben. Wenige Jahre nach Schneiders Tod 1982 begann die grosse Zeit der Stars „von nebenan“, allen voran Meg Ryan, Julia Roberts und Tom Hanks. Sie waren immer noch Publikumslieblinge, die Massen in die Kinos lockten und der Branche Kassenhits garantierten. Von „Gottheiten“ konnte hier aber kaum noch die Rede sein. 1999 wurde die demokratische Entzauberung besiegelt. Roberts spielte sich in der Komödie „Notting Hill“ quasi selbst. Die Liebe ihrer Hollywooddiva zu einem einfachen Londoner Buchhändler (Hugh Grant) unterstrich: Filmstars sind auch nur Menschen.
Götter twittern nicht
Privat kamen die Stars ebenfalls im Leben der Normalsterblichen an. „Das wird ein Titel!“, jubelt der „Stern“-Journalist in „3 Tage in Quiberon“, als Schneider betrunken ihre Seele offenbart. Damals befriedigten noch etablierte Medien mit beschränkter Sendezeit oder Seitenzahl die Gier nach Neuigkeiten aus dem Privatleben der Stars. Heute verbreiten Online-Anbieter rund um die Uhr Banalität über mehr oder minder bekannter Personen. Die teilen selber private Momente auf Instagram oder treten per Twitter direkt mit Fans in Kontakt. Auf diese Weise wird die Gier nach Intimität zwar befriedigt. Bei so viel Profanität kann Göttlichkeit aber nicht überleben.
Heute scheint die Zeit der wahren Filmstars vorüber zu sein. Selbst die Ansammlung prominenter Gesichter bei der Oscar-Verleihung kann die Zuschauer nicht mehr wirklich begeistern, wie stetig sinkende Einschaltquoten zeigen. Laut dem Wirtschaftsmagazin „Forbes“ waren 2017 Mark Wahlberg und Emma Stone die bestbezahlten Mimen in Hollywood. Zu den wahren Leinwandgöttern sind vielmehr die übermenschlichen Comichelden aufgestiegen, die Darsteller im Kostüm sind austauschbar geworden. Daneben hat die allgemeine Entzauberung des Kinos im Wettstreit mit Fernsehen, YouTube und Netflix zum Niedergang der Filmstars aus Fleisch und Blut beigetragen. Ihre Gesichter dominieren unseren Alltag – nicht mehr unsere Alltagsfluchten.
Filmkritik „3 Tage in Quiberon“ – Im Bett mit Romy Schneider
Die unerbittliche Zärtlichkeit Romy Schneiders verfolgt bis heute. Emily Atef zeigt den Filmstar als Verführerin und Verführte ihres Publikums.
Romy Schneider im zerwühlten Bett oder unbeschwert lachend am Strand – so hatte die deutsche Öffentlichkeit die Filmgöttin noch nicht gesehen. Die scheinbar so intimen Schwarz-Weiss-Aufnahmen von Robert Lebeck entstanden im Frühjahr 1981 im bretonischen Quiberon. Drei Tage lang besuchten der Fotograf und sein zynischer Reporterkollege Michael Jürgs Schneider während der Kur. Im Film von Emily Atef wittert Jürgs (Robert Gwisdek) in der zerbrechlichen Trinkerin ein leichtes Opfer. Am Ende aber zieht er in dem Machtkampf der Manipulatoren den Kürzeren. „Romy hat mich doch berührt“, gesteht Jürgs. Schneiders alte Freundin Hilde (Birgit Minichmayr) kann es nicht mehr hören: „Alle sind von Romy Schneider berührt. Du bist da nichts Besonderes.“
Atef gelingt ein faszinierender Blick auf das Phänomen Romy Schneider zwischen Sissi und Machiavelli. „Es geschah oft, dass man bei Romy offene Türen einrannte – und gleich dahinter gegen eine Betonmauer prallte“, erinnerte sich Lebeck später an die Begegnung. Atef übernimmt die elegante Ästhetik seiner Fotos. Damit entreisst sie Schneider auch optisch der kitschig bunten „Sissi“-Welt. Vielmehr wird die Schauspielerin – wunderbar verkörpert von Bäumer – in Schwarz und Weiss zur tragischen Femme fatale.
★★★★☆
Quelle: „Neue Zürcher Zeitung“ (12. April 2018), NZZ.ch
Bilder: Peter Hartwig/Rohfilm Factory/Prokino; Prokino
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