Alexander McQueen: Savage Beauty

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Arbeiterkind und Savile Row, Highlands und Hightech: Alexander McQueen war ein Mode-Visionär zwischen Empire und Cool Britannia. Der Brite schwelgte in Formen und Emotionen, bei ihm wurde der Laufsteg zur Bühne. Brutale Schönheit war McQueens Markenzeichen, seine Frauen Opfer und Göttinnen. In ihnen spiegelte der Designer sein eigenes Trauma. 2010 nahm sich McQueen das Leben. Sein Verlust ist bis heute spürbar, die Faszination mit ihm ungebrochen.

„Enfant terrible“, „Hooligan“, „Bad Boy of Fashion“: Alexander McQueen hatte schnell seinen Ruf weg. Schuld daran war vermutlich auch sein Aussehen. Der bullige Mann mit dem kurz geschorenen Haaren passte scheinbar optisch besser in eine Arbeiterkneipe oder eine Stadionfankurve als in eine Luxusboutique. Bereits diese Normalität machte McQueen im Modegeschäft zu einer Ausnahmeerscheinung. „Die Leute denken, ich wäre ziemlich verrückt und exzentrisch, aber das bin ich gar nicht“, sagte der 28-Jährige 1997 dem Talkshow-Host Charlie Rose. „Ich mag die einfachen Seiten des Lebens. Wenn ich mit der Arbeit fertig bin, gehe ich gern nach Hause und schaue eine Sitcom. Für mich ist das ein schöner Abend.“

Lee Alexander McQueen wuchs im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen in einfachen Verhältnissen auf. Er hat sie nie verleugnet. Das jüngste von sechs Kindern einer Lehrerin und eines schottischen Taxifahrers kam am 17. März 1969 in London zur Welt. „Seit ich drei Jahre alt war, habe ich immer nur Kleidung entworfen“, sagte McQueen. Das stieß in seiner Arbeiterklasse-Familie nicht gerade auf Verständnis: „Sie konnten es nicht wirklich begreifen, aber ich blieb dabei.“

McQueen wuchs unter dem Einfluss großer Designer wie Karl Lagerfeld und Valentino auf. Deren luxuriöse Modeträume kollidierten bei dem jungen Talent aber mit Eindrücken des Alltags. „Ich bin umgeben von den Dingen, die die meisten Designer nicht wirklich sehen, das wahre London, die Clubszene, die Obdachlosigkeit“, sagte McQueen. Für ihn war Mode mehr als hübsche Kleider. „Ich setze nicht so sehr auf Schockeffekte, aber ich möchte zeigen, was jenseits der Modewelt geschieht“, erklärte er. „Ich versuche, die öffentliche Meinung über Mode selbst zu verändern.“ Denn Mode sei nicht so seicht, wie oft angenommen werde. Allerdings musste McQueen feststellen: „Das wird nicht immer so positiv aufgenommen.“

Alexander McQueen: Durchbruch und Givenchy

McQueen verließ mit 16 Jahren die Schule und begann eine Schneiderlehre. Die führte ihn zur Traditionsfirma Anderson & Sheppard an der Savile Row in London. Dort schneiderte der Auszubildende Bespoke-Anzüge für Michail Gorbatschow und Prinz Charles. Dieses Handwerk begleitete den Designer sein Leben lang. „Für mich dreht sich alles um Schnitt, Proportionen und Farbe“, sagte er.

Nach drei Jahren wechselte McQueen die Spur. Er entwarf Kostüme für Film und Fernsehen, arbeitete für Designer und bekam dank seines Talents einen Studienplatz am renommierten Modeinstitut der St. Martin’s School of Art in London. Seine komplette Abschlusskollektion wurde 1992 von der einflussreichen Stylistin Isabella Blow aufgekauft. Sie entwickelte sich zu McQueens Mentorin. Auf ihren Rat hin verwendete der Designer bei seinem Label „Alexander McQueen“ seinen zweiten Vornamen. Für Freunde blieb er aber Lee.

1996 kam die kleine Sensation: Der Brite wurde mit 27 Jahren zum Chefdesigner bei Givenchy ernannt. Er folgte auf Landsmann John Galliano, der zu Christian Dior wechselte. McQueens erste Givenchy-Kollektion in Weiß und Gold war ein Reinfall – auch aus Sicht des Designers. Mit der nächsten Kollektion aber kam der Erfolg. „Ich machte, was ich wollte“, sagte McQueen und sprach von einem Statement gegen diese „bourgeois haute couture“. Paris, so zeigte sich, war nicht wirklich das Pflaster des Arbeiterjungen. Er fühlte sich von vielen einstigen Idolen menschlich enttäuscht, beklagte Intrigen und falschen Schein in der Modebranche. Die Zeit bei Givenchy half jedoch dabei, sein eigenes Label über Wasser zu halten. 2001 verließ McQueen Givenchy.

Alexander McQueen: Der Laufsteg als Therapie und Vision

McQueen entwarf nicht nur Tour-Kostüme für David Bowie und die Rolling Stones. Er selbst inszenierte seine Modenschauen als theatralisches Ereignis. Auch deshalb liebten Supermodels wie Naomi Campbell und Kate Moss den Designer. Moss war 2000 Trauzeugin bei seiner rechtlich nicht bindenden Heirat mit dem Filmemacher George Forsyth. 1995 sorgte die Kollektion „Highland Rape“ für einen Eklat. Models stolperten als Vergewaltigungsopfer über den Runway. Vordergründige Inspiration war die brutale Unterwerfung der schottischen Clans durch die Engländer. Die oft vor Gewalt strotzenden Modeschauen des Designers hatten aber einen erschreckenden, persönlichen Hintergrund.

McQueen war ab dem Alter von neun Jahren vom Ehemann seiner 15 Jahre älteren Schwester Janet missbraucht worden. Die Familie erfuhr dies erst wenige Jahre vor dem Suizid des Designers. Janet selbst erlitt durch die Schläge ihres Mannes zwei Fehlgeburten – auch diese Gewalt hatte massiven Einfluss auf McQueens Arbeit. Er sagte in einem Interview: „Ich habe gesehen, wie eine Frau von ihrem Ehemann fast zu Tode geprügelt wurde. Ich will, dass die Leute Angst haben vor den Frauen, die ich einkleide.“

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Neben dem Schneiderhandwerk setzte McQueen als einer der ersten großen Designer auf moderne Technik. Für die Kollektion Frühling/Sommer1999 ließ er das Model Shalom Harlow auf einer Drehscheibe zwischen zwei Industrierobotern kreisen, während die ihr weißes Kleid mit Farbe besprühten.

Größere Versionen dieser Roboter nahmen im Oktober 2009 in Paris die Zuschauer ins Visier. McQueens Show „Plato’s Atlantis“ wurde live im Internet gestreamt. Lady Gagas Ankündigung kurz zuvor, dass ihre neue Single „Bad Romance“ während der Modenschau Weltpremiere feiern wird, ließ die Server zusammenbrechen.

Auch die Kleidung setzte ein Zeichen. Die Armadillo Boots und Manta Dresses sind längst Teil der Modegeschichte. Die einflussreiche Modejournalistin Suzy Menkes schrieb in der „International Herald Tribune“ von der „dramatischsten Revolution der Mode im 21. Jahrhundert“.

„Plato’s Atlantis“ war McQueens letzte Modenschau. Er wurde am Morgen des 11. Februar 2010 erhängt in seinem Haus in London gefunden. Einige Tage zuvor war seine geliebte Mutter gestorben. Auch der Suizid seiner Mentorin Isabella Blow 2007 soll McQueen belastet haben. Seine Asche wurde auf der schottischen Insel Skye verstreut. Dort steht ein Gedenkstein.

Alexander McQueen: Sein Erbe

Ein Jahr nach McQueens Tod ehrte ihn das Metropolitan Museum of Art in New York mit der Ausstellung „Savage Beauty“. Die Schau entwickelte sich unerwartet zum Publikumsmagneten. Besucher warteten bis zu vier Stunden auf Einlass. Das Museum verlängerte seine Öffnungszeiten und die Laufzeit der Show. Nach drei Monaten hatten mehr als 650.000 Menschen „Savage Beauty“ gesehen. Die Ausstellung wurde auch in London zum Hit. Das Victoria und Albert Museum blieb teilweise rund um die Uhr geöffnet.

McQueen wurde vom British Fashion Council viermal als Designer des Jahres ausgezeichnet: 1996, 1997 (mit Galliano), 2001 und 2003. 2003 ehrte ihn auch der US-Berufsverband CFDA als Internationaler Designer des Jahres. Sein Label, das zur Gucci Group gehört, wurde von seiner langjährigen Assistentin Sarah Burton fortgeführt.

„Wie hart haben Sie für den Erfolg gearbeitet?“, fragte Charlie Rose den 28-jährigen Alexander McQueen. „Zu hart“, antwortete er schon damals, ein Jahr nach der Berufung bei Givenchy. „Ich war nie jemand, der nach Ruhm oder Bewunderung von Leuten gehungert hat.“

Bild: Flickr/yaili/CC BY-NC 2.0

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