Haute Couture ist eine aussterbende Kunstform. Neben Chanel hält nur noch das Modehaus Dior die altehrwürdige Schneidertradition aufrecht, in der schon mal Hunderte von Arbeitsstunden für ein einziges Abendkleid zusammenkommen. Immer weniger Frauen können sich diese Art von auf den Körper geschneiderten Luxus leisten und Haute Couture ist in erster Linie ein Geschäft.
Die Ankunft eines neuen Chefdesigners ist deshalb nicht nur eine künstlerische Entscheidung. Umso skeptischer fielen die Reaktionen aus, als das nach antisemitischen Tiraden entlassene Ausnahmetalent John Galliano 2012 durch Raf Simons ersetzt wurde. Der scheue Belgier hatte sich spätestens beim Label Jil Sander einen Ruf als Minimalist erworben und noch nie eine Haute-Couture-Kollektion entworfen. Für sein Debüt blieben ihm nur zwei Monate Zeit.
Filmemacher Fréderic Tcheng („Diana Vreeland: The Eye Has to Travel“) begleitete die Entstehung von Simons‘ triumphalem Einstand. „Dior und ich“ zeigt den Designer zwischen Panik, kreativen Heureka-Momenten und in der Auseinandersetzung mit dem großen Vorgänger Christian Dior. Die Dokumentation erlaubt zudem einen Einblick in die Entstehung von Haute Couture, bei der der Designer nur ein Rädchen unter vielen ist. n-tv.de sprach mit dem in New York lebenden Regisseur.
n-tv.de: Mr. Tcheng, wie würden Sie einem Unwissenden den Modeschöpfer Dior beschreiben?
Fréderic Tcheng: Dior ist bekannt für seinen Sinn für Romantik und Weiblichkeit. Bei genauerer Betrachtung seiner Entwürfe stellen sie sich aber als sehr architekturell heraus. Die Konstruktion der Kleidungsstücke ist unglaublich kompliziert und gleichzeitig simpel. Er hat bei seinen Entwürfen viel von der Maßschneiderei aus der Männermode eingebunden. Raf Simons ist in dieser Hinsicht seinem Wesen sehr nahe.
Was hat Sie an Raf Simons‘ Debüt bei Dior mehr gereizt, der Designer oder das Modehaus?
Mich hat die Begegnung zwischen Raf und Dior interessiert. Sobald ich Raf Simons‘ Arbeit entdeckte, war mir klar, dass ich einen Film über seine Ankunft bei Dior machen musste. Er hat eine ungewöhnliche Art, sich Mode zu nähern. Durch ihn war es mir möglich, eine neue Wertschätzung für Mode zu finden.
Ich bin immer wieder darüber erstaunt, welch großen Einfluss die Schneiderinnen auf die Entstehung von Haute Couture haben. Raf Simons fertigt ja noch nicht einmal Skizzen seiner Entwürfe an.
Florence Chehet, die Leiterin des Ateliers, hat es am besten ausgedrückt. Sie sagt: Wenn man denselben Entwurf 40 Näherinnen gibt, bekommt man 40 verschiedene Kleider. Mich interessiert stets der kreative Prozess und ich wollte zeigen, welchen Anteil sie nicht nur mit ihren Händen, sondern auch mit ihren Herzen und Geist haben.
Christian Dior hat die Geschichte der Mode in nur zehn Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg verändert. Könnte Raf Simons etwas Ähnliches gelingen?
Da kann ich mir keine Aussage drüber erlauben. Ich bin in keinster Weise ein Modeexperte. Ich bin eher ein Außenseiter, der hineinschaut.
Raf Simons ist extrem schüchtern und auf seine Privatsphäre bedacht. Wie zugänglich war er während der Dreharbeiten?
Er war nicht begeistert, um es vorsichtig auszudrücken, von der Idee, dass ihm ein Kamerateam während seiner ersten Kollektion folgt. Aber dann haben wir uns in Paris getroffen. Er muss wohl gespürt haben, dass er meiner Sichtweise auf gewisse Weise vertrauen kann. Langsam aber sicher hat er sich der Kamera geöffnet.
Wie fiel die Zusammenarbeit für Sie aus?
Es war eine faszinierende Erfahrung, ihn zwei Monate lang beobachten zu können. Ich habe viel über Kunst gelernt und wie eine Vision verwirklicht wird. Ich konnte mich in seinen schöpferischen Vorgang einfühlen, denn Mode unterscheidet sich nicht sehr vom Film. Ich fühlte mich wie in einer zweimonatigen Meisterklasse. Es war sehr inspirierend.
Dior ist ein milliardenschweres Unternehmen. Die Macht des Hauptanteilseigners Bernard Arnault, laut „Forbes“ derzeit der dreizehntreichste Man der Welt, wird im Film deutlich. Hatten Sie Befürchtungen, Ihre Arbeit könnte von den Geschäftsinteressen beeinflusst werden?
Ich war natürlich besorgt, denn als Filmemacher muss man einen Standpunkt ausdrücken. Ich habe sehr hart daran gearbeitet, ein Gefühl der Intimität und Menschlichkeit zu erzeugen, was sich sehr von den üblichen Werbebotschaften von Dior unterscheidet.
Welche anhaltende Faszination übt Mode auf Sie aus?
Ich habe mal dieses großartige Zitat von Andy Warhol gehört: „Ich bin zutiefst oberflächlich.“ Dasselbe Paradox trifft meiner Ansicht nach auf Mode zu. In unserer gegenwärtigen Kultur ist das Image alles. Es scheint daher nur natürlich, dass Menschen der Mode mehr Aufmerksamkeit schenken. Als Filmemacher habe ich bei dem Thema durchaus gemischte Gefühle. Ich habe nie geplant, Filme über Mode zu drehen. Ich versuche immer, menschliche Geschichten zu erzählen.
Mit Fréderic Tcheng sprach Nina Jerzy.
„Dior und ich“ kommt am 25. Juni in die deutschen Kinos.
Quelle: n-tv.de
Bilder: CIM Productions
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