„Scheitern sollte man nicht glorifizieren“

„WiWo.de“: Der Psychologe Nico Rose erklärt im Interview, warum man nach einer Kündigung seine Gefühle im Büro eher für sich behalten, zu Hause aber seine Wut rauslassen sollte – und wie man auch finanziell das Beste rausholt.


Nico Rose lehrt als Professor für Wirtschaftspsychologie an der privaten International School of Management (ISM) in Dortmund. Er ist Ko-Autor des neuen Buchs „Besser arbeiten“.

WirtschaftsWoche: Herr Rose, derzeit sind noch viele Deutsche in Kurzarbeit, aber manche fürchten: Wenn diese erst einmal ausläuft, wird die Coronakrise auch einige Entlassungen bringen. Was bedeutet eine Kündigung für den Betroffenen?
Nico Rose: Das hängt von der Persönlichkeit und den konkreten Umständen ab. Manche Menschen stecken so etwas von Natur aus leichter weg, andere neigen eher zum (Ver-)Zweifeln. Und dann geht´s um ganz konkrete Fragen: Wie sieht die Angebots- und Nachfragesituation für mein Profil aus? Bin ich mobil, bin ich unabhängig? Habe ich ein finanzielles Polster, kann ich mir eine Auszeit gönnen – oder muss ich eigentlich sofort wieder arbeiten gehen für den Lebensunterhalt?

Kann eine Kündigung sogar zum Trauma werden?
Im schlimmsten Fall schon. Ein Trauma zeichnet sich unter anderem dadurch aus, dass man sich überwältigt fühlte und das Gefühl hatte, die Kontrolle zu verlieren. Wenn die Kündigung einen Menschen komplett unvorbereitet trifft und gleichzeitig eher wenig psychologische und finanzielle Ressourcen vorhanden sind: Ja, dann kann uns das ganz gehörig aus der Bahn werfen.

Wie sollten wir uns denn darauf vorbereiten?
Wenn es entsprechende Anzeichen gibt, würde ich nach Möglichkeit direkt einen Anwalt aufsuchen. Mit dem kann ich dann verschiedene Szenarien durchspielen: Worauf sollte ich achten in den kommenden Gesprächen, was darf ich sagen, wozu sollte ich lieber schweigen? Auch ganz konkrete Dinge lassen sich mit einem Anwalt klären: Welche Fristen müssen gewahrt werden, zum Beispiel, wenn ich Einspruch erheben will? Wenn man das nicht gewohnt ist, fühlt sich der Gang zum Anwalt ein wenig merkwürdig an. Aber in so einem Fall ist das gut investierte Zeit.

Was sollte man unmittelbar nach Erhalt der Kündigung tun?
Das kommt darauf an: Habe ich gute Aussichten, schnell einen neuen und für mich passenden Job zu finden? Wird mir vielleicht sogar eine schöne Abfindung in Aussicht gestellt? Warum dann nicht mit einem Glas Schampus darauf anstoßen? Generell rate ich dazu, einen Rechtsbeistand zu nehmen. Arbeitsrecht ist ein vertracktes Feld, Unternehmen kennen in der Regel jeden Kniff. Ein spezialisierter Jurist kann dafür sorgen, dass Waffengleichheit herrscht – und wir mit dem bestmöglichen Ergebnis aus der Episode hervorgehen.

Sollte ich sofort anfangen, die weitere Karriere zu planen? Und darf ich auch einfach erst mal eine Weile meiner Enttäuschung ihren Lauf lassen?
Als Psychologe würde ich sagen: Das ist keine Frage des Dürfens – das passiert einfach. Gerade, wenn die Kündigung unerwartet kommt, ist es völlig normal, dass einen das ein paar Tage umhaut, gegebenenfalls auch länger. Es gibt da keinen Richtwert, aber Karriereplanung sollte man rational angehen, nicht, wenn man noch sehr aufgewühlt ist. Geben Sie sich ausreichend Zeit zum Trauern oder auch zum Wüten. Wenn die Emotionen nicht mehr so hochkochen, langsam anfangen, seine Sachen zu ordnen. Lebenslauf und weitere Unterlagen auf Vordermann bringen, persönliche Netzwerke aktivieren, natürlich irgendwann auch grundsätzlich darüber nachdenken: Was erwarte ich eigentlich von einer zukünftigen Aufgabe? Gerade, wenn man so etwas 20 Jahre nicht mehr gemacht hat, kann hier auch ein guter Coach weiterhelfen.

Welche konkreten Tipps hätten Sie, um das Beste aus der Erfahrung zu machen?
Einen Anwalt nehmen. Im Unternehmen: sich nicht emotional übermannen lassen, nichts Dummes sagen oder tun. Professionell bleiben. Zu Hause: Emotionen gerade nicht unterdrücken, sondern zulassen. Nicht den „einsamen Cowboy“ geben, sondern sich helfen lassen. Netzwerke aktivieren. Und dann Reflexionsprozesse anstoßen: Gespräche führen, vielleicht auch mal ein paar Tage alleine irgendwo hinfahren zum Nachdenken.

Welche Ratschläge haben Sie, damit es anschließend sogar besser läuft als vorher?
Auch hier geht´s um Reflexion: Wenn die Kündigung urplötzlich kam: Welche Frühwarnzeichen habe ich nicht wahrgenommen, vielleicht sogar unbewusst ignoriert? Wie kann ich dafür sorgen, dass das in Zukunft so nicht mehr passieren wird? An welchem Punkt in meiner Karriere befinde ich mich gerade? Muss der nächste Job unbedingt ein Fortschritt sein in puncto Geld und Verantwortung – oder brauche ich gerade mehr Zeit für andere Lebensbereiche, zum Beispiel die Familie? Für welche Aufgaben habe ich regelmäßig ausnehmend positives Feedback erhalten und wofür eher nicht? An welchen Tagen und bei welchen Aufgaben habe ich meine Arbeit als hochgradig sinnvoll empfunden, wann nicht?

Wie konkret müssen die Vorstellung von der beruflichen Zukunft sein, wie viel Raum für Zufälle darf ich lassen?
Das hat viel mit der Persönlichkeit zu tun. Manche Menschen brauchen einen recht klaren Plan mit entsprechenden Zielen für die nächsten Jahre, andere surfen ein bisschen mehr durchs Leben und schauen, welche Welle sie reiten wollen. Es gibt Tausende von Ratgebern da draußen, die einem einbläuen wollen: Du musst vom Ende her denken, du musst dir Ziele setzen. Das ist nicht grundsätzlich falsch. Es ist allerdings nur richtig für einen Teil der Menschen. Die anderen setzt es unnötig unter Druck.

Es liegt nicht in der eigenen Hand, ob ein Jobverlust zum Karrierekiller wird?
Wenn Menschen einen grundsätzlichen Optimismus an den Tag legen, dann ist das selten verkehrt. Auf der anderen Seite gibt es Situationen, die sind einfach hart. In meine Zeit bei meinem früheren Arbeitgeber fiel unter anderem die Schließung einer größeren Druckerei in Itzehoe. Betriebswirtschaftlich völlig gerechtfertigt, weil es durch die Digitalisierung arge Überkapazitäten im Markt gab. Aber dann bist du vielleicht Ende 40, Anfang 50, in einem Beruf als Drucker, der mittlerweile nicht mehr so rosige Aussichten verspricht – und das in einer strukturschwachen Region, aber mit Haus und Kindern im Schulalter. Wenn man da vorschnell mit „Tschakka, du musst das positiv sehen!“ ankommt, ist das schlicht zynisch.

Wie scheitert man erfolgreich?
Scheitern klingt endgültig, das sollte man nicht glorifizieren. Denn unter Umständen ist damit viel Leid verbunden. In der Achtziger- und Neunzigerjahren gab es einen ausgeprägten Kult des Erfolgs. Wenn ich mich heute so umschaue, nehme ich, wenn auch weniger ausgeprägt, eher einen Kult des Scheiterns wahr. Ich halte beides für grenzwertig. Was es zu kultivieren gilt, ist Reflexion, Lernen, Reifung. Im Übrigen kann man auch wunderbar aus den eigenen Erfolgen lernen, wenn man weiß, worauf es zu schauen gilt. Man muss nicht scheitern, um schlauer zu werden.

Sind Sie mal gescheitert?
Richtig auf die Fresse geflogen bin ich meines Erachtens noch nicht. Aber wie jedes Leben ist auch meines geprägt von kleinen oder größeren Niederlagen. Ich wollte ein Stipendium für meine Doktorarbeit und hab keines bekommen. Ich habe mich für Jobs beworben und wurde nicht genommen. Ich habe Exposés für Bücher eingereicht und sie wurden zerpflückt.

Was haben Sie dabei über sich gelernt?
Dass ich echt hartnäckig und ausdauernd bin. Das Leben muss schon ordentlich hinlangen und nicht nur einmal – von selbst werfe ich kaum das Handtuch. Dazu musste ich dann später noch lernen, dass es bisweilen klüger und mutiger ist, aufzuhören, als um jeden Preis weiterzukämpfen.

Quelle: WiWo.de (30. August 2020)
Bild: Unsplash/David Kovalenko